Ein Satz mit einem Hopser
Haben Sie den Satz auch so satt? „Das ist meine Meinung.“ Der Punkt wird nicht mitgesprochen, aber die vier Worte davor werden so betont, dass man den Sprecher oder die Sprecherin aufstampfen sieht am Satzende. Würde mir der Satz nicht so große Übelkeit verursachen, müsste ich schallend lachen, denn vor meinem geistigen Auge wird der Punkt nicht gestampft, sondern gehopst, wie es die Mielke-Schwestern in Loriots „Pappa ante portas“ tun.
Aber warum verursacht mir der unschuldige Satz Übelkeit? Der Satz ist natürlich alles andere als unschuldig, aber das ist nochmal ein eigenes Thema. Der Satz steht für eine monströse Verherrlichung der eigenen Meinung, frech und ungeniert in den öffentlichen Raum geworfen, dank sozialer Medien weltweit transportiert.
Die sozialen Medien ermöglichen es jedermann, die eigene Meinung wie eine Monstranz vor sich herzutragen. Die eigene Meinung wird dadurch in einem Ausmaß überhöht, dass es einem Tränen in die Augen treibt. Sie wird auf einen Altar gehoben, den sie sich nicht erobern muss durch kluges Argumentieren, durch großes Faktenwissen. Es genügt, sie auszusprechen, damit hat sie sich selbst ihre Legitimation geschaffen. Wie konnte es soweit kommen, dass heute jede und jeder seine Meinung für so bedeutsam hält, dass er sie jedem ins Gesicht schleudern muss. Oft ungefragt. Und immer mit diesem gehopsten Punkt am Satzende, der dem Gegenüber sagen soll: „Wage es nicht, meine Meinung in Frage zu stellen. Denn das ist meine Meinung, ich zweifle nicht an ihr, ich habe ein Recht, sie auszusprechen.“ Punkt. Hopser.
Wo sind all die Zweifler, die sich dreimal überlegen, ob sie ihre Meinung, zu der sie nach reiflichem Überlegen gekommen sind und nicht nur nach drei TikTok-Filmchen, ob sie diese Meinung ungefragt in die Welt posaunen? Es heißt, der Mensch macht alles, was er kann. Und die sozialen Medien befähigen nun einmal jedermann zu jeder Stunde, andere mit der eigenen Meinung zu belästigen. Zweifelten wir doch alle nur ein klein wenig an unserer Meinung im Sinne Georg Christoph Lichtenbergs, der sagte: „Zweifle an allem wenigstens einmal, und wäre es auch der Satz: Zweimal zwei ist vier.“ Es bliebe uns so viel erspart.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Das ist kein Aufruf, keine Meinung mehr zu haben. Keine Meinung mehr zu äußern. Aber muss man sie wirklich in Dauerschleife der ganzen Welt entgegen schleudern? Ungefragt? Ohne dass man ausgiebig darüber nachgedacht hat? Und mit diesem schrecklichen Hopser am Schluss, der eh nie so schön gelingt wie der von Brigitte und Gertrud Mielke. Stampfen Sie beim nächsten Mal lieber mit dem Fuß auf, wenn sie wieder einmal mit Ihrer Meinung hausieren gehen.
Gabi Eichl