Die Büchergilde Gutenberg wird hundert Jahre alt. In München repräsentiert von „Moths“ und „Rauch & König“.
Von Ina Kuegler
Johannes Gutenberg, der Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, als Namenspatron? Das mutet doch reichlich altertümlich an. Und dann noch der Name Büchergilde – irgendwie altmodisch. Dabei hat sie sich immer wieder neu erfunden: die Büchergilde Gutenberg. Vor hundert Jahren gegründet ist sie eine Buchgemeinschaft, die ihre Mitglieder mit guter Literatur und künstlerisch gestalteten Büchern versorgt. Seit zehn Jahren steht die Büchergilde auf neuen Füßen, auf einer Genossenschaft mit 1.800 Genossinnen und Genossen.
Gefeiert wurde der runde Geburtstag zuletzt mit einem großen Empfang bei der Frankfurter Buchmesse. Im Leipziger Museum für Druckkunst präsentiert eine Ausstellung die schönsten Bücher der Jubilarin. Gefeiert haben den runden Geburtstag aber auch zahlreiche prominente Schriftsteller*innen. So gratulierte Arno Geiger: „Mit hundert ist ein Verlag in den besten Jahren. Vivat die Büchergilde! Mit allen schwenkbaren Hüten!“ Und der Münchner Autor Hans Pleschinski jubilierte: „Frohen Muts und schwungvoll weiter so, Ihr bravourösen Gutenberger!“
Die Büchergilde Gutenberg ist die einzige literarische Buchgemeinschaft Deutschlands. Jedes Quartal kuratiert der Verlag ein neues Programm aus Büchern, Kunst, Musik und Dingen, die das Leben schöner machen. Aus den spannendsten Neuerscheinungen eines Bücherjahres wählt die Büchergilde lesenswerte Bücher aus, publiziert Originalausgaben und entdeckt Klassiker wieder neu. Dabei steht immer die Buchkunst im Fokus: Die Büchergilde legt Wert auf Exemplare mit haptisch besonderen Materialien und arbeitet zusammen mit bekannten oder jungen Künstler*innen. Ein Beispiel: Tucholskys „Schloss Gripsholm“ verlieh der vielfach geehrte Cartoonist Hans Traxler neuen Zauber.
60.000 Mitglieder hat die Büchergilde im Jubiläumsjahr – zu ihren besten Zeiten waren es 300.000. Gegründet wurde die Büchergilde im August 1924 in Leipzig von Bruno Dreßler, dem Vorsitzenden des Bildungsverbands Deutscher Buchdrucker. Von der Gewerkschafts- und der Arbeiterbewegung stark beeinflusst wollten die Gründungsväter ärmeren Bevölkerungsschichten den Zugang zu preiswerten Büchern und damit zur Bildung ermöglichen. Zu den ersten Autoren, die ins Programm aufgenommen wurden, zählten B. Traven, Oskar Maria Graf, Jack London und Mark Twain. Bis 1931 entstanden in Deutschland 27 Geschäftsstellen und Filialen in Prag, Wien und Zürich. Bis 1933 hatte die Büchergilde 174 Buchtitel in 2,5 Millionen Exemplaren herausgegeben.
Mit der Machtübernahme der Nazis wurde die Büchergilde 1933 gleichgeschaltet. SA-Leute besetzten die Berliner Räume, Bruno Dreßler, der später in der Schweiz die Büchergilde neu gründete und weiterführte, wurde verhaftet. Ein Neustart der Büchergilde mit Hilfe westdeutscher Gewerkschaften glückte 1949 in Frankfurt. Jubiläen mit Festrednern wie Erich Kästner oder Günter Grass sind Zeugnisse für die Bedeutung der Büchergilde, die diese in den 1960er oder -70er Jahren hatte. Von Grass wurde sie ermuntert, eine „Arbeitsbibliothek“ mit 20 Titeln herauszugeben – eine Idee, die der einflussreiche Groß-Kritiker Marcel Reich-Ranicki mit den Worten „Weltfremdheit“ abtat.
Weltfremd, rückwärtsgewandt oder gar elitär ist die Büchergilde nie gewesen – seit 1961 waren Schallplatten im Angebot, 1970 folgten Spiele und zeitgenössische Originalgrafik. Im aktuellen Programm (4. Quartal 2024) können Mitglieder zwischen neuesten Bestsellern von Saša Stanišić und Caroline Wahl, einem Oscar-Wilde-Puzzle (1.000 Teile) oder einem Back-Set für Kinder auswählen. Jedes Mitglied der Büchergilde verpflichtet sich, im Quartal ein Buch, eine CD, einen Kalender, einen Film oder auch mal praktische Sachen wie eine Tasche aus Canvas zu erwerben. In München – abgesehen vom Online-Handel – geht dies ganz einfach: Sowohl die Buchhandlung Moths am Isartor als auch der Buchladen Rauch & König in der Herzogstraße in Schwabing präsentieren das Sortiment der Büchergilde. Eine Liste sämtlicher Partnerbuchhandlungen ist auf der Website der Büchergilde zu finden.
Mit dem Phänomen „Preise und Auszeichnungen“ ist die Büchergilde vertraut: So gibt es beispielsweise seit dem Jahr 2000 den Büchergilde Gestalterpreis. Junge Nachwuchskünstlerinnen und Nachwuchskünstler kreieren unter Anleitung von Hochschulprofessor*innen Illustrationen für ein ausgewähltes Buch. In diesem Jahr entstand Virginia Woolfs „Mrs. Dalloway“ neu, und zwar mit 120 Bildern. Neu sind auch die Materialien, mit denen die Büchergilde arbeitet: So kann ein Buch aus recycelten „CoffeeCup Paper“ bestehen – der Umschlag aus wiederverarbeitetem Ozeanplastik. Hans Traxler meint jedenfalls zum Jubiläum: „Eine tiefe Verbeugung und alle guten Wünsche für die nächsten 100 Jahre“.
Mehr zur Büchergilde Gutenberg finden Sie unter
https://buechergilde.de/