„Don’t judge a book by its cover” heißt es so schön. Schließlich kommt es ja vor allem darauf an, was wir zwischen den Buchdeckeln finden. Aber leicht fällt mir das nicht. Wenn ich auf dem Cover von Farben, Worten, Bildern und Gesichtern angesprungen werde, dann habe ich ein Urteil gefällt, bevor ich die erste Seite aufschlage. Schublade auf, Schublade zu.
Mittlerweile habe ich eine viel wichtigere Regel gelernt: „Don’t judge a book by its Klappentext“. Da lauert die weitaus größere Gefahr, auf die falsche Fährte gelockt zu werden. Ich habe mich schon daran gewöhnt, dass jedes Buch natürlich wieder das aktuell beste Buch dieses Autors oder dieser Autorin ist – quasi kontinuierliche Selbstoptimierung. Demnach müsste sich jeder Schreiberling nach spätestens drei Büchern zum Nobelpreiskandidaten und/oder zur Bestsellerautorin entwickelt haben. Was im Umkehrschluss heißt: An ihre Debüts sollten sich der Autor oder die Autorin, und am besten auch wir Leser*innen, lieber nicht mehr erinnern.
Nein, mich stört etwas anderes. Es gibt Leser*innen, die nur den ersten Satz anlesen. Wenn der nicht mindestens kafkaesk daherkommt, dann empfinden sie es als reinste Zeitverschwendung, weiterzulesen. Andere probieren es mit dem letzten Satz. Wenn der nicht wie eine glasklare Auflösung klingt, sondern eher nach offenem Ende riecht, dann war’s das. Diese Leser*innen geben dem Buch eine einzige Chance – entweder ganz vorn oder ganz hinten –, bevor sie den Deckel zuklappen. Bei mir ist es anders. Ich lese weniger die Zeilen des Autors als die des Verlags. Das ist vermutlich mein größter Fehler. Was steht da zum Beispiel nicht alles im Klappentext: „Eine Frau fährt eines Tages nicht in die Arbeit, sondern lässt sich in die Psychiatrie einweisen …“
Wie bitte? Darauf muss man erst mal kommen! Da bin ich sofort dabei. Wenn die Protagonistin statt zur Arbeit in die Psychiatrie fährt, mache ich es mir schon einmal auf ihrem Rücksitz bequem. Aber was lese ich da: Es folgen unzählige Rückblenden in die Kindheit, Reflexionen über die Beziehung. Und das ganz ohne Therapie. Da frage ich mich doch: Wenn sie nicht mit ihrem Psychiater spricht, warum setzt sie sich nicht einfach in Ruhe auf eine Parkbank und erzählt in bester Forrest-Gump-Manier aus ihrem Leben? Nächstes Buch, nächste falsche Fährte: Die Umwelt dieses Protagonisten, heißt es da fast schon apokalyptisch im Klappentext, habe gewaltig unter seinem Jähzorn zu leiden. Ich nehme das Buch mit spitzen Fingern in die Hand, erwarte einen unvermittelten Ausbruch, der meine Hand und mein Herz erzittern lässt. Was ist? Nichts! Der erste Tobsuchtsanfall auf Seite 88. Vielleicht ist der Protagonist zwischen dem Erscheinen des Buches und meiner Lektüre bereits austherapiert?
Dann vielleicht doch wieder zum Cover. Der Sommer ist ja gelinde gesagt ein wenig ins Wasser gefallen. Aber dieses Jahr haben uns so viele blaue Cover angesprungen, Figuren, die sinnierend ins Blaue schauen, andere, die beherzt ins kühle Nass springen. Wer braucht da einen echten Sommer, wenn er uns auf den Buchdeckeln anlächelt und träumen lässt?
Markus Czeslik