Das unruhige Münchner Leben der Franziska zu Reventlow

Von Markus Czeslik

Um die Lebensspur von Franziska zu Reventlow hier in der Stadt vollständig nachzuzeichnen, müsste sich ein wahres Netz an Gedenktafeln, die auf Hauswänden an ihre Person erinnern, quer durch München ziehen, hauptsächlich aber kreuz und quer durch Schwabing.

Anfang des letzten Jahrhunderts zog die Schriftstellerin, Übersetzerin und Malerin – und vor allem Lebenskünstlerin – von einer Münchner Wohnung in die nächste. Wie viele Koffer es waren, aus denen sie lebte, ist vermutlich nicht überliefert, doch eine Zahl steht fest: Am Ende kam sie auf sage und schreibe 25 verschiedene Adressen.

Das Haus in der Leopoldstraße 41, das heute an die Gräfin erinnert und (ausgerechnet) einen Discounter beheimatet, war von 1909 bis 1910 die letzte all dieser Stationen, in denen Fanny versuchte, heimisch zu werden. Eine unruhige, wechselnd verzweifelte und lebenslustige Seele voller Widersprüche. Einerseits präsentierte sie sich als Bohemienne wie aus dem Bilderbuch, die gerne mal mit Geld um sich warf – auf der anderen Seite geriet sie fast permanent in finanzielle Not und damit in Abhängigkeit von ihren häufig wechselnden Liebschaften.

Mit 22 Jahren – und 100 geliehenen Mark – kam „Fanny“ Reventlow 1893 aus dem eher steifen Lübeck ins pulsierende München. Sie ließ ein streng reglementiertes Elternhaus, ihre kaltherzige Mutter und allen Komfort hinter sich, um sich als Malerin zu versuchen. In einem Brief schrieb sie schon als Jugendliche: „Wie mir diese ganze Aristokratensuppe zuwider ist. Ich will und muss einmal frei sein.“

So richtig gelingen wollte ihr die Malerei nicht, mal fehlte die Motivation, mal die Inspiration. Lieber stürzte sie sich ins Leben, genoss ihre Freiheit, die Freizügigkeit und den Fasching. Als einige Gläser, die sie bemalt hatte, wieder mal keine oder nicht genug Abnehmer*in fanden, versuchte Reventlow, die Kunstobjekte im Kleinhesseloher See zu versenken. Selbst das gelang nicht. Der Schriftsteller und Aktivist Erich Mühsam soll über sie gesagt haben: „Ich habe kaum einen Menschen gekannt, der unaufhörlich vom Pech verfolgt war wie diese Frau, die wahrhaft jedes Glück verdient hätte, da sie die zur Genialität gesteigerte Fähigkeit besaß, Glück zu genießen und zu verwerten.“

Das Münchner Leben der Glückssuche-rin glich einem Existenzkampf. Im
Juli 1897 bezog Reventlow bereits ihre achte Münchner Wohnung – in der Georgenstraße 29. Sie war zu dem
Zeitpunkt schwanger, häufig krank und litt an Ängsten und einer schweren Depression. Niemand geringerer als Rainer Maria Rilke spendete ihr Trost und warf ihr eine Zeit lang jeden Tag ein Gedicht in den Briefkasten.

Im Albert Langen Verlag fand Reventlow einen neuen Geldgeber. Mit Übersetzungen aus dem Französischen hielt sie sich über Wasser, aber auch das reichte nicht, um einigermaßen sorgenfrei zu leben. Sie veröffentlichte erste eigene Texte in Zeitschriften und Tageszeitungen, wie „Die Gesellschaft“ und „Münchner Neueste Nachrichten“, sowie Satiren im „Simplicissimus“. Im Januar 1897 sorgte „Das jüngste Gericht“ für einen Skandal. Reventlow ließ darin fast das gesamte biblische Personal abstrafen. Der Verleger sah sich wegen Gotteslästerung auf der Anklagebank wieder, die Autorin kam ungestraft davon.

Um 1900 begann sie die Arbeit an ihrem autobiografischen Roman „Ellen Olestjerne“. Das Skript nahm sie in insgesamt fünf verschiedene Wohnungen mit, bis sie in der Schellingstraße 92 den Schlusspunkt setzte. 1903 erschien das Werk, zu dem auch Rilke eine Rezension verfasste: „Ich finde, daß ihr Leben eins von denen ist, die erzählt werden müssen, und ich glaube, daß man es vor allem jungen Menschen erzählen muß, […], die das Leben anfangen wollen und nicht wissen wie.“

Im selben Jahr gründete sie eine WG in der Kaulbachstraße 63a mit den Herren Bohdan von Suchocki und Franz Hessel. In ihrem Tagebuch nennt sie die WG, bis 1906 Treffpunkt der Münchner Boheme, einen Ort des „Lebenskommunismus“. In mehreren Kapiteln ihres Schlüsselromans „Herrn Dames Aufzeichnungen“ beschreibt Reventlow Episoden ihres Zusammenlebens. Leicht erkennbar tritt darin auch der „Kosmiker“-Kreis um Karl Wolfskehl auf, der sich über die „heidnische Madonna“ ausgiebig lustig machte.

1910 schließlich verließ „Fanny“ die Stadt in Richtung Ascona. Vom Pech blieb sie weiterhin verfolgt. Sie wurde nur 47 Jahre alt und starb am Lago Maggiore an den Folgen eines Fahrradsturzes.