Von Wolfram Hirche
Schon zum dritten Mal heute, diese Falle. Gebratener Schinken, etwas Käse, achtsam auf den kleinen Spieß gesteckt, der von oben in die Falle hineinragt. Dann konzentriert den Metallbügel nach hinten über den Draht-Käfig gespannt und mit einem weiteren Bügel arretiert. So arretiert, dass die Klappe zur Käfig-Falle weit offensteht. Damit diese Klappe sich blitzschnell schließt, sobald das Tier am Schinkenkäse zupft, weil dann der Bügel sich löst und nach vorne schnappt. Es sei denn, die Maus würde von außen schnuppernd an die Gitterstäbe stoßen, dann käme es zu einer Fehlschließung.
Schon zweimal Fehlschließung heute.
Sobald die Maus aber von innen am Schinken zupft, soll der Spieß aus der Halterung rutschen und den Bügel freigeben, der zuschnappt und – nein, nicht ihr Genick zerschlägt. Sondern die kleine Metallplatte loslässt, die damit den Käfig schließt, diesen etwa 15 mal 5 cm großen Käfig verschließt und somit ist das Tier gefangen.
Ihre Augen, groß wie die bunten Stecknadelköpfe, die ich an meiner Pinnwand sehe, schwarz, rund, glänzend, werden mich ungläubig anschauen. Sie wird erst still sitzen, starr vor Schreck, wie ich selbst starr wäre vor dem Unbegreiflichen. Ohne Schlüssel in einem Käfig von Gitter umgeben, bar jeder Chance auf einen Ausweg! Vorwurfsvoll wird sie mich ansehen, dann mit nervösen Bewegungen im Käfig hin und her sausen mit ihrem Schwanz, genauso lang wie ihr Körper, ihr Näschen an die Klappe drücken, versuchen, sie aufzudrücken, vergeblich. Sie wird mich ansehen, ich weiß nicht, ob sie mich überhaupt sieht, aber ich denke, sie schaut vorwurfsvoll, sie fordert mich auf, den Blödsinn aufzugeben und sie unverzüglich wieder freizulassen. Denn längst haben sie und ich bemerkt, dass aus dem Käfig für das Tier kein Entkommen ist, nicht unter den hier gegebenen Umständen.
Was sie nicht erkennt: Ich schütze sie. Ich behüte sie vor den Krallen der Katze, vor den gefährlich hackenden Schnäbeln der Krähen, die draußen im Tiefflug über die Wiesen gleiten, denn nichts Besseres kann es für diese Maus geben als einen Käfig! In dem sie gefüttert wird. In dem sie sicher ist. Aber das versteht sie nicht. Sie stupst mit der kleinen Nase immer wieder an die Seiten des Käfigs, die mit feinen metallisch glänzenden Gitterstäben verschlossen sind und verschlossen bleiben.
Es gibt keine Freiheit, kleine Maus, werde ich sagen, ganz egal, was wir jetzt tun. Oder glaubst du, es ist Freiheit, wenn ich dich rauslasse in diesen kleinen Garten mit den paar Bäumen, Blättern, Gras? Natürlich könnte ich dich, werde ich zu ihr sagen, ohne Weiteres in diesem Käfig hinaustragen, den Bügel spannen, sodass sich die Klappe wieder hebt, und und und. Ich könnte danach auch wieder etwas Schinken in die Falle legen, ohne ihn an den Spieß zu stecken, einfach etwas Schinken. Unter den roten Ahorn stellen und ab und zu nach dir sehen, was du so machst, in deiner Freiheit. Wozu du sie nutzt, wie du die Gefahren meisterst, deiner Freiheit. Oder auch nicht. Denn ich kann die Krähen nicht hindern, die Katzen.
Und was du machst, wenn der Herbst kommt, die kälteren langen Nächte im Herbst, ob du mir treu bleibst, zurückkehrst in den Schinkenkäfig, in das wohlig-warme Gehäuse, was mit Sicherheit das Klügste wäre, das du tun könntest, oder was du sonst mit deiner vielen Zeit anfängst, deiner kurzen, aber von dir als unglaublich lang, und so sicher empfundenen Mauselebenszeit!
Aber noch habe ich dich ja nicht. Und ich sage dir gleich, so wie du dirs vorstellst, wirds nicht ablaufen, auf keinen Fall. Du willst den Schinken holen und raustragen in dein Nest oder deine Höhle. Vielleicht hast du dort einen Gefährten und sogar schon Kinder, denke ich voll Schreck. Sie erwarten, dass du mit Beute kommst. Hier in meinem Wohnraum könnten sie warten, oder draußen am Balkon, auf der Terrasse? Keine Ahnung. Das würde mein ganzes Thema sprengen, das sich nur um die Freiheit, um deine Freiheit drehen sollte. Plötzlich säße ich in einem Käfig, der aus dem Thema „Freiheit“ bestünde und müsste zugleich an Mutterschaft, Paarung, Nahrungssuche, Kindesmisshandlung, Tod etc. arbeiten, würde an den Käfigstäben meines eigenen Freiheit-Themas zerren, nach einer Tür, einer Klappe suchen, um einen Ausfall zu wagen, verlustreich sicher, aber die Fahne retten, das Thema!
Die Freiheit, Mausetier, großartige Sache, aber ehrlich gesagt, komme ich damit überhaupt voran, jemals ans Ziel? Irgendein Ziel?