Es wird sich ein bisschen viel gewundert. Manche reiben sich auch erstaunt die Augen. Sind verblüfft. Kriegen gar Herzklopfen. Und wie das eben so ist mit allem, was inflationär betont, hervorgehoben, benannt wird: Erst kann man es nicht mehr hören, und dann überhört man es einfach. Genervt schaltet man insgesamt ab ob der Phrasendrescherei oder – ein Zeichen des Goodwills – sie/er lässt ein paar Sätze verstreichen …, und vielleicht lohnt es sich ja dann, den Aufmerksamkeitspegel peu à peu wieder langsam nach oben steigen zu lassen.

Wer sagt, dass es Aktualität sei, die zumindest in Teilen die Qualität von Kunst, von Literatur ausmache, sagt, dass gute Kunst gute Kunst und gute Literatur gute Literatur ist. Und das wussten wir irgendwie schon und das klingt dann in etwa so: „Also, ich war wirklich total verblüfft, wie aktuell dieser Text (noch) ist.“

Unsere Museen wären leer, wenn, was dort steht oder hängt, nicht irgendetwas mit der Gegenwart zu tun hätte, wenn es nicht gerade darum ginge, Zeitübergreifendes zu transportieren, wenn sich heutiges Publikum nicht angesprochen fühlen würde auch von den ältesten Kunstwerken. Und auch das ist ja ein Gewinn für die Gegenwart: Differenzen zwischen dem Damals und dem Heute zu erkennen oder zu spüren oder zu Wissen zu machen. Differenzen weisen auf Entwicklungen hin und in Wirklichkeit gibt es diesen Unterschied zwischen Dynamiken und fixen Zuständen ja auch gar nicht.

Und deshalb könnten sie endlich mal wegfallen diese emotional vorgetragenen Hinweise von Moderator*innen, Veranstalter*innen, Ausstellungseröffner*innen … darauf, wie berührt er/sie/es (könnte ja eine KI-Stimme sein), wie überrascht man von der Aktualität dieses oder jenes Werkes, das irgendwie wieder ausgegraben, entstaubt, hervorgeholt, wieder verlegt wurde, gewesen sei. Geschenkt. Einfach nur geschenkt. Besitzt die Bibel Aktualität? Besitzen die Sagen, Märchen, die Merseburger Zaubersprüche Aktualität? Was für eine seltsame Frage. Wie lässt sich überhaupt etwas ohne Bedeutung über die eigene Zeit hinaus sagen? „Aktualität“ ist ein Begriff aus der Informationsvermittlung, aus dem Medienbereich. Als Zeitungen noch etwas waren, um deren Definition man sich mühte, verlangte man von ihnen „Aktualität, Publizität, Universalität und Periodizität“. Das waren so nüchterne wie brauchbare Beschreibungen, Werkzeuge, um beinahe handwerklichen Ansprüchen zu genügen. Aktualität ist kein literaturtauglicher Begriff, auch keiner aus den Literaturwissenschaften. Vielleicht ließen sich aber trotzdem – und bevor die Herzen zu aufgeregt pochen und zu aller Beruhigung – zu guter Literatur völlig überflüssig Beipackzettel legen mit der Bemerkung: „Achtung! Könnte aktuell sein.“

Dika