Vermeintliches Idyll
Katja Hubers neuer Roman „Unterm Nussbaum“
Von Stefanie Bürgers
Die Großfamilie im weitläufigen Garten an einer langen, schön gedeckten Tafel. Ein vermeintliches Idyll, mit dem Katja Huber in ihrem neuen Roman „Unterm Nussbaum“ die Leser*innen eingangs hinters Licht führt. Anlass für das Familientreffen ist der Siebzigste von Barbara. Sie hat vier Kinder, die nur losen Kontakt pflegen. Die älteste Tochter Mirjam beschließt, den Geburtstag ihrer Mutter mit allen Geschwistern und deren Familien in jenem Haus am Ammersee zu feiern, in dem Barbara aufgewachsen ist. Doch dieses Haus birgt schmerzliche Erinnerungen. Spannungen sind also vorprogrammiert, entladen sich in Dialogen mit Wortwitz und Esprit.
Der Einstieg in die Story wirkt fürs Erste harmlos, doch das täuscht. Der sprachliche Ausdruck folgt der zeitlichen Einordnung der Kapitel, die in Vor- und Rückblenden griffig die jeweilige Epoche abbilden. Die zahlreichen Familienmitglieder werden eingangs eingeführt und einander zugeordnet. Doch die wahre Identität ist damit keineswegs gesichert. Die Handlung, die sich langsam aufbaut und an beeindruckender Tiefe gewinnt, wird verfeinert durch grundlegende philosophische Gedanken zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und dem Ausgesetztsein des Menschen darin.
Verborgen liegt die tragische Liebesbeziehung zweier junger Mädchen in der beginnenden Nazizeit, eine davon Jüdin, die andere Barbaras geliebte Tante Anna, die gegen alle Widerstände vor allem auch in ihrer eigenen Familie tapfer zu ihrer Geliebten steht. Doch Anna wird von ihrer jüdischen Freundin verlassen und rächt diesen Verrat grausam. Ein Geheimnis, das nun ans Licht drängt und dessen Aufdeckung den darin verwickelten Menschen viel abverlangt. Warum sie es lieber wegschieben, sich nicht stellen, in der Gegenwart verharren wollen als es offen zu legen. Dafür muss die Zeit reif sein. „Langsam, jetzt warten wir erst einmal ab, bis die Walnüsse reif sind“, sagt die Urenkelin an entscheidender Stelle. Wie wahr.
Katja Huber
Unterm Nussbaum
167 Seiten
Secession, Zürich 2018
24 Euro