Leuchtet München? Was Gedenktafeln verschweigen

Von Michael Berwanger

Wie viele Gedenktafeln es in München gibt, sei nie gezählt worden. Es sollen so um die 150 sein. Zumindest behauptet dies die Historikerin und Publizistin Andrea Kästle – geboren im Münchner Stadtteil Untersendling –, die vor kurzem den Band „München leuchtete nicht für jeden“ veröffentlicht hat.

Die Gedenktafeln gelten berühmten Persönlichkeiten, die in München ganz oder teilweise zu Hause waren – manchmal nur für ein paar Tage –, die die Stadt und ihre Gesellschaft geprägt haben, sei es als Politiker*innen, darstellende oder bildende Künstler*innen, Natur- oder Geisteswissen-schaftler*innen, Musiker*innen oder Schreibende.

Die neue Serie „Gedenktafeln der Literaten“ wendet sich den Schriftstellerinnen und Schriftstellern zu, die der Stadtrat für ein öffentliches Gedenken würdig befunden hatte. Es dürften so um die 40 sein, darunter nur wenige Frauen.

Meist befinden sich die Tafeln an Hauswänden, kunstvoll gestaltet in Stein, in Bronze, in Marmor oder als Glasplatte. Nur wenige sind im Boden eingelassen, auf eine Stele gesetzt oder an einen Baum gebunden. Die oft opulente Aufmachung lässt erkennen, dass den Stadtoberen zum Zeitpunkt der Einweihung die Würdigung der Berühmtheiten einiges wert gewesen war. Allerdings gilt das keineswegs für alle und zu jeder Zeit. Auch München, das gerne von sich behauptet, es „leuchte“, war lediglich während kurzer Zeitabschnitten eine freie Stadtgesellschaft und ging – wie viele andere Städte – nicht immer zimperlich mit seinen Geistesgrößen um. Feuchtwanger emigrierte bereits 1925, weil für ihn in München zu viele „Voll-Antisemiten“ existierten. Und Thomas Mann schrieb über die Bombardierung seiner Heimat aus dem amerikanischen Exil: „Der alberne Platz hat es geschichtlich verdient.“

Natürlich verschweigt der Text auf den Tafeln – so kunstvoll er auch sein mag – aus Platzmangel das Wesentliche: Details zum Schicksal der Betreffenden, Geschichten ihrer Migration oder Anekdoten aus ihrem Leben. Beispielsweise steht auf Heinrich Heines Marmortafel in der Hackenstraße lediglich: „Hier wohnte Heinrich Heine 1827 – 1828“. Dabei wäre Heine gern länger geblieben. Man hatte ihm einen Lehrstuhl an der Universität zugesichert. Doch während einer Italienreise 1828 intrigierte der katholische Naturphilosoph Joseph Görres gegen Heine, sodass dieser bei der Rückkehr nur noch seine Koffer packen konnte. Die Gedenktafel für Joseph Görres in der Schönfeldstraße wurde 1902 zusammen mit dem Wohnhaus des Philosophen abgerissen. Heine hätte das sicher gefreut. Oder die Gedenktafel für Franziska zu Reventlow: Auf dem Bronzeschild an der Leopoldstraße 41 stehen die Daten 1871 – 1918. Das sind ihre Lebensdaten, nicht die Jahreszahlen ihres Verweilens in Schwabing. Tatsächlich ist die gebürtige Lübeckerin in München 24 mal umgezogen – aus Geldnot und immer auf der Flucht vor ihren Gläubigern.

In den nächsten Monaten wird die neue Serie auf Geschichten eingehen, die nicht auf den Tafeln stehen, sie wird die Menschen hinter den Plaketten sichtbar machen, ihre Verdienste hervorheben und aufzeigen, was aus ihnen geworden ist, trotz oder auch wegen ihres Lebens in München.

Andrea Kästle:
München leuchtete nicht für jeden – Was Gedenktafeln der Stadt verschweigen
Paperback
232 Seiten
Allitera Verlag München 2024
19,90 Euro