Von Walter Grassl

Na ja, wissen Sie, ich bin ja wirklich schon sehr lang Kellner, und da erlebt man so manches. Ich war schon in etwas besseren Läden als im Knödelwirt. Aber was im Knödelwirt wirklich immer wieder interessant ist, sind die Stammtische. Da sind etliche bei uns, denn erstens haben wir einen Nebenraum, zweitens zivile Preise. Um was es bei den Stammtischen genau geht, kriegst du ja erst nach und nach mit. Da sind jeden ersten Montag des Monats die Märklin-Freunde. Da wird gefachsimpelt, ob die, was weiß ich, 52-er oder die 185-er Lok besser ist. Am ersten Mittwoch die Fans der Kanarienvögel, am zweiten Dienstag die Fliegenfischer und am dritten Dienstag die Sechskanter. Die beschäftigen sich mit allen Werkzeugen, Muttern oder Schrauben, die sechs Kanten haben. Na ja, jeden interessiert halt was anderes.

Aber, alles, was recht ist, wir haben auch ein paar Stammtische, also, die machen es einem nicht leicht, da zu bedienen. Aber ich kann ja nicht sagen, den Tempomaten, so nennen wir die, denen serviere ich nichts. Die zahlen ja ihr Bier genauso wie alle anderen. Aber der Stammtisch ist schon reichlich seltsam. Die sammeln Papiertaschentücher von Prominenten. Natürlich gebrauchte. An denen schnüffeln sie dann, und behaupten, dass sie irgendeinen charakteristischen Geruch erkennen können. Die Tücher bewahren sie in Tupperdosen auf, damit das wertvolle Aroma nicht verloren geht. Z.B. von Heidi Klum. Oder Oliver Pocher. Oder Gerd Müller – sogar mit Blut, der hat da wohl Nasenbluten gehabt. Das ist dann natürlich was ganz Besonderes. Und einer behauptet steif und fest, er hätte ein Tücherl von Michael Schumacher. Ja, wer hat schon ein Taschentuch von einem Formel-1-Weltmeister!

Du, und der Hupsi, der Kollege drüben vom Brummkreisel, unten beim Wertstoffhof, die haben ja auch einen Nebenraum. Und da hat mir der Hupsi erzählt, die haben seit einem halben Jahr einen Stammtisch, er meint, so was kannst Du nicht erfinden. Da treffen sich jetzt alle zwei Wochen die Nebenwirkungen. Er sagt, da sitzen die dann alle beieinander, die Bauchschmerzen, der Drehschwindel, die Nesselsucht, das Unwohlsein, der Brechreiz und die Blasenschwäche. Grundsätzlich gehört ja auch die Müdigkeit dazu, aber die fehlt fast immer.

Also, der Hupsi sagt, die Stimmung bei denen, das musst du erleben. Die erzählen halt sehr viel beruflich. Gut, über Beschwerden zu reden, das ist bei fast allen Rentner-Stammtischen so. Bloß, die können das deutlich besser. Kein Wunder, das sind ja auch Profis. Der Brechreiz und die Blasenschwäche sitzen immer gleich bei der Tür. Denn da geht’s zum Klo nur links ums Eck, also nur ein paar Schritte. Der Hupsi sagt, der Drehschwindel sitzt neben der Nesselsucht und hält sich ständig an ihr fest, damit er nicht vom Stuhl fällt. Obwohl ihn die Nesselsucht immer wieder ermahnt, er soll lieber Abstand halten. Das Unwohlsein und die Bauchschmerzen hängen immer etwas über den Tisch. Und die Müdigkeit, wenn sie überhaupt mal dabei ist, hängt schlapp im Stuhl. Also, der Hupsi sagt, das ist ein Bild, wie ein Leichenzug, bloß im Sitzen.

Vom Umsatz her, meint der Hupsi, kannst du den Stammtisch auch vergessen. Denn Brechreiz und Bauchschmerzen sagen immer gleich, dass sie nur was trinken. Bei denen bittet er immer um Verständnis, dass er gleich abkassiert. Denn wenn die mal raus müssen, kann das dauern. Und das
Unwohlsein meint jedes Mal: was essen? – also, vielleicht später! Der Hupsi sagt, er nennt den Stammtisch inzwischen schon die Nebenwürgungen. Er meint, es würde ihn gar nicht wundern, wenn da irgendwann ein Neuer dazukommen würde. So ein ganz hagerer, mit einer Sense in der Hand. Na dann, Mahlzeit!