hochroth in München

Von Markus Czeslik

Im Kollektiv sind auch die Kleinverlage groß. Für die Lyriker und Literaturvermittler Tim Holland und Tristan Marquardt bot sich 2017 die Gelegenheit, an den hochroth Verlag anzuknüpfen, der bereits 2008 in Berlin gegründet worden ist. Da damals für viele Talente aus dem süddeutschen Raum der geeignete Publikationsort fehlte, nutzten sie die Chance.

Mittlerweile hat sich die Münchner hochroth-Dependance etabliert und mit dem Journalisten Hannes Munzinger einen dritten Verleger gefunden. Bei hochroth genießt jede Dependance ihre rechtliche Eigenständigkeit und künstlerische Freiheit, während das Kollektiv die notwendigen Rahmenbedingungen schafft: Dazu gehören die Preisgestaltung (einheitlich 10 Euro), der Produktionsprozess (jedes Exemplar ist ein in Manufaktur hergestelltes Unikat), die gemeinsame Website, Messeauftritte und vieles andere, was in die Kategorie „Synergieeffekte“ fällt.

Man unterstützt sich, wo man kann – etwa bei logistischen Engpässen –, und lernt voneinander. Die Maxime lautet: Alle Dependancen können alle Bücher machen. Das führt zu einer starken Verbundenheit. „Verlegen bedeutet für mich eine soziale Praxis. Mir ist wichtig, dass wir Dinge zusammen machen und uns in der Gruppe austauschen“, sagt Marquardt.

Dazu gehört, dass sich die Gruppe regelmäßig zu langen Druck-Wochenenden oder -Abenden trifft und das Ganze mit einer kleinen Party verbindet. Eine Herzensangelegenheit soll schließlich Spaß machen. Hochroth beliefert eigenständig interessierte Buchhandlungen. Die Zusammenarbeit mit der Literaturhandlung Moths funktioniert seit Jahren exzellent – so hat der „Sperrsitz“ seinen festen Platz in der Lyrikszene und präsentiert Gedichte in all seiner Vielseitigkeit. Auch Rauch & König gehören zum guten Dutzend Buchhandlungen im deutschsprachigen Raum, die sich für Lyrik von hochroth begeistern.

In der Münchner Dependance werden eher unbekannte, eigenständige Stimmen gezeigt. „Wir können es uns leisten, Dinge auszuprobieren, die für Großverlage zu aufwendig sind und wirtschaftlich keinen Sinn ergeben“, sagt Tim Holland. Besonders gut verkauft und vielfach prämiert wurde der Band „handverlesen“, die erste Anthologie deutscher Gebärdensprachpoesie, die sich ihren Platz auf der Hotlist der Lyrikempfehlungen 2024 gesichert hat.

Ebenfalls formal außergewöhnlich präsentiert sich das Gedicht „Leipzigt“ des syrischen Dichters und Aktivisten Xoşewîst (ausgesprochen: Khoshewist). Vokabular aus fünf Sprachen ist darin zu einem bunten Teppich verwebt, mit dem hochroth die Poesie neu definiert.

Mit einem lokalen München-Bezug wartet der tagebuchartige Band „no notizen“ von Nora Zapf auf. Darin versammelt sie Alltagsbeobachtungen, die vom Kleinsten ins Große weisen und neue Blickwinkel eröffnen.

Die Verleger sind stolz, dass ihre Lyrikbände, die ohne Bestsellerambitionen dem Mainstream entgegenlaufen, große Beachtung finden. „Wir haben definitiv nicht das Gefühl, in einen leeren Raum reinzuarbeiten“, sagt Tristan. Dabei scheuen sie nicht den politischen Diskurs – im Gegenteil. Erst kürzlich hat Tim Holland Autorinnen und Autoren zusammengebracht, um rechtsextreme Narrative zu entlarven. „Im Gegensatz zu einem politischen Essay kann ich mir in meinen Gedichten andere Freiheiten nehmen – und auch mit einem anderen Witz die Dinge durchspielen.“

Am 25. Juli ist im Rahmen der Lesereihe „meine drei lyrischen Ichs“ die ugandische Aktivistinin und Dichterin Stella Nyanzi im Kunstverein München zu Gast.

Mehr Informationen unter: www.hochroth.de

Bisher erschienen in der Reihe  „Unabhängige Verlage“: Hagebutte Verlag, Stroux edition, Schillo Verlag, Eisele Verlag, austernbank verlag und Salon Literaturverlag