Von Martin Rasper
An der Steinbacherstraße in München-Bogenhausen, nicht weit von der Isar, befinden sich die Überreste eines alten Kur- und Badeorts: Bad Brunnthal. Ach was, Überreste! Zu sehen ist gar nichts mehr. Wer die Stelle besucht, sieht einen schmalen, zweiteiligen Teich, insgesamt vielleicht zwanzig Meter lang, der sich am Fuß des Hangs entlangzieht. Er ist gesäumt von hübschen, tief dunkelgrünen Eiben, die wahrscheinlich von Vögeln gepflanzt wurden. Und wer genau hinschaut, entdeckt den Auslass, aus dem ein kleines Rinnsal direkt aus dem Hang in den Teich fließt: eine Quelle also. Außer von der Quelle bekommt der Teich noch Wasser von der Seite her, von einem schmalen Bächlein, das in den angrenzenden Gärten aus einer feuchten Stelle am Hang entsteht. Das Wasser des Teichs wird unterirdisch in die Isar abgeleitet; erst mehrere hundert Meter weiter nördlich entsteht aus den Hangquellen wieder ein Bach: der Brunnbach.
Das war einmal ganz anders. Der Brunnbach war früher so kräftig, dass er eine Zeitlang mehrere Mühlen antrieb; und hier an dieser Stelle befand sich ein Ensemble aus Gebäuden, die zusammen einen kleinen Badeort bildeten. Das Hauptgebäude war ein veritables Schlösschen mit einem markanten Turm, umgeben von gepflegten Anlagen mit einem hoch aufschießenden Springbrunnen. Bereits 1822 hatte das Hotel in einer Zeitungsannonce damit geworben, dass „in jedem Zimmer dieser Badeanstalt eine kupferne und blecherne Badewanne stehe, jeder das warme und kalte Wasser in dem Bad selbst einlaufen lassen könne, daß in jedem Badezimmer 1 Leibtuch in der Wanne, 1 Einschlagtuch statt dem Bademantel, 1 Handtuch und 1 Bodentuch, nebst Seife, sich befinde, und daß die Titl. Badegäste auf Verlangen mit Coffee, Chocolade, Wein, Bier und Liqueurs, dann Schinken, Käs und Butter, gegen billige Preise, bedient werden.“ Das war eine Form von Luxus, die erstmals nicht nur der herrschenden Klasse, sondern auch dem entstehenden Bürgertum zur Verfügung stand. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Ansichtspostkarten mit „Gruss aus Bad Brunnthal“ verschickt.
Um diese Zeit wohnte auch Thomas Mann hier in der Nähe. Täglich ging er mit seinem Hund Bauschan an dem Bach spazieren. Dieser floss nach dem Verlassen der Kur- und Badeanstalt, durch weitere Quellen verstärkt, durch eine veritable Wildnis. Das Gebiet war von zwei Fließgewässern eingerahmt: rechter Hand, an der Hangkante, der Brunnbach; linker Hand die noch unregulierte Isar. Die Ufer waren mit üppig wucherndem Auwald bestanden, überall breitete sich Sumpf und Morast aus – und „Schluchten, ganz angefüllt mit Holunder-, Liguster-, Jasmin- und Faulbaumgebüsch, so dass an qualmigen Junitagen die Brust den Duft kaum zu bergen weiß“, wie Thomas Mann notierte. In seinem Buch „Herr und Hund“ hat er diese Spaziergänge geschildert, und wie sehr er das Wasser liebte. Es war ihm „wert und wichtig, dass die schmale Gegend, in der ich wohne, zu beiden Seiten von Wasser eingefasst ist.“ Doch den wilden Auwald, den Herr und Hund durchstreiften, die Fasanen, die Bauschan gelegentlich jagte und eher aus Versehen einmal auch erbeutete – das alles gibt es nicht mehr.
Auch die einst prosperierende Kur- und Badeanstalt ist verschwunden. Das einzige, was die Erinnerung bewahrt, ist eine kurze Straße mit dem Namen „Bad Brunnthal“. Darin: neoklassizistische Villen, Klingelschilder mit vornehmen Namen, Anwaltskanzleien, eine Vermögensverwaltung. Wo einst eine heilkräftige Quelle war, sprudelt nur noch das Geld auf den Bankkonten. n
Der Text des Münchner Autors ist vor Kurzem in der Reihe „European Essays on Nature and Landscape“ erschienen.
Martin Rasper: An der Quelle
Mit Fotografien, Karten und weiteren Abbildungen
Hardcover, 144 Seiten
KJM Buchverlag
Hamburg 2024
22,00 Euro
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors