Von Petra Ina Lang
Einmal pro Woche gehen wir in den Südpark. Wir parken in einer der Seitenstraßen, in der Wohnwagen hinter Wohnwagen stehen und verrotten. Große Wohnwagen, kleine Wohnwagen. Auf allen hat sich eine staubige Schicht abgesetzt mit Blättern, die vermodern. Nie sieht man Menschen in die Wohnwagen einsteigen. Nie sieht man Menschen aus ihnen herauskommen.
Viele der Fenster haben Gardinen. Einer der Wohnwagen hat Plastikvorhänge vor den Luken hängen, graue, undurchsichtige Folien. Sie verhindern den Blick ins Innere oder auch den Blick von innen nach außen. Dass der Wohnwagen unbenutzt ist, ist mir klar, weil die Plastikgardinen hier und da eingerissen sind. Warum? Keiner ist drin, um herauszuschauen. Keiner kann durch die Gardinen nach innen schauen.
Der Wohnwagen ist ein Modell aus alten Zeiten, als Holländer gen Süden zogen. Dieser Wagen hat aber etwas Besonderes an den Seiten: Es sind japanische Schriftzeichen.
Eines Tages fiel mir auf, dass der Wagen verstellt war, nur um ein paar Meter. Wir liefen um das Gefährt herum. Nichts hatte sich verändert. Die Schriftzeichen waren gut zu lesen. Ansonsten sah der Wohnwagen aus wie drei, vier Wochen zuvor.
Wir gingen durch den Wald. Frauen führten ihre Hunde Gassi. Frauen joggten. Es war ein Frauenwald. Breite Wege vergabelten sich zu Pfaden, schlängelten sich durch Unterholz und Brombeersträucher.
„Sie verschlingen dich!“, sagte mein Freund.
„Ja, das tun sie, es sind verschlungene Wege“, erklärte ich ihm.
„Ach, da ist ja der Ausweg“, rief mein Freund und ich griff ihn am Arm, bereit, sein Deutsch zu verbessern. Er lächelte und zeigte mir den Weg zurück zu der Straße mit den Wohnwagen.
Bauarbeiten waren im Gange. An einer Holzstange hing ein Schild mit dem Namen einer Firma, die sich für den Umbau mehrerer Grasflächen zu Spielplätzen mit Bänken aus Betonklötzen verantwortlich zeigte. Allerdings war das Schild falsch herum aufgehängt. Den Namen konnten wir lesen, wenn wir uns auf den Kopf stellten. „Waldmann“ stand darauf, ein deutscher Name, nichts Japanisches.
„Sind Sie verrückt?“, nölte ein Mädchen in Joggingmontur, das einen Hund bei sich führte. „Sie können doch nicht einfach hier so gehen! Sagt der Japaner!“, rief das Mädchen und joggte mit gesenktem Kopf auf der Stelle. „Ohne Hund oder Sportschuhe haben Sie hier nichts verloren!“
„Ja, wie?“, fragte ich zurück. „Ohne Hund und ohne Sportschuhe oder ohne Hund und mit Sportschuhen oder ohne Sportschuhe und mit Hund?“
„Ach!“, schnarrte das Mädchen und lief genau auf den Wohnwagen zu, den ich schon ins Herz geschlossen hatte, den kleinen Wagen mit den japanischen Schriftzeichen. „Bitte“, sagte das Mädchen, „da steht es: ‚Nur Frauen mit Hunden und Turnschuhen!‘. Steht da!“, und zum Beweis, dass sie richtig las, fuhr sie mit dem Finger die Schriftzeichen nach. Dann starrte sie meinen Freund an.
„Da!“, rief sie. „Das ist der Japaner! Der hat das geschrieben!“
„Ja und?“, fragte mein Freund, der auf einmal Turnschuhe trug und einen Hund bei sich führte.
Mein japanischer Freund. Er lächelte mich an, öffnete die Tür zu dem kleinen verstaubten Wohnwagen, stieg ein und reichte mir die Hand. Ich folgte ihm. Ich weiß jetzt, was er dort tut: Er schreibt Slogans. ‚Nur Frauen mit Hunden und Turnschuhen!‘ ist so einer. Ach ja, den Hund, der uns zugelaufen war, haben wir „Waldmann“ getauft. Ich sagte schon, mein Freund ist ein Trendsetter? Trendsetter brauchen Refugien. Und sie genießen ein Inkognito. Auch vor ihrer Freundin.
Ja, mein Freund ist der Japaner. Und er ist eine Gefahr. Wofür? Weil mein Freund nie die Handbremse anzieht oder überhaupt eine Bremse. „Bremsen bremsen!“, sagt er. Ist sein Slogan.
Und als wir heute wieder zum Südpark fuhren, war der Wohnwagen weg. Sagen wir, er war nicht mehr am gleichen Ort. Die Straße ist abschüssig. „Abschüssig“ ist eins meiner Lieblingsworte.
Nun steht er auf der anderen Straßenseite, ganz allein und gut sichtbar für jedermann. Mein Freund nahm einen Pinsel, und mit zwei, drei Strichen machte er aus den Frauen „Menschen“ und aus dem „und“ ein „mit“: „Nur Menschen mit Hunden in Turnschuhen!“ stand nun an der Seite des Wohnwagens.
Und, ach ja, die Betonteile für die Bänke, die überall im Wald herumliegen, die lassen meinen Freund nicht los. Sie können mir glauben, es dauert nicht lange, und er wird sie nehmen und einen Betonbankteile-Trend setten. Das wird so gigantisch lustig, dass alle, die in diesen Park kommen, jubeln werden. Die Hunde auch, sofern sie Turnschuhe tragen. Das ist nämlich der neueste Trend, „Walken für Hunde“ oder auch „Walking for dogs“.
Auch unser „Waldmann“ walkt.
Ganz entspannt läuft er neben uns, und endlich ist mal wieder Ruhe im Wald.