Wer die Kultur liebt, liebt das Leiden. Jenes lautlose Vor-sich-hin-Leiden auf dem zugewiesenen Stuhl, das spätestens nach einer Stunde einsetzt. Meist schon früher.
Die Lesung des Nachwuchsautors in unserem Lieblingsbuchladen, die Premiere der durchreisenden Theatertruppe in der Stadthalle, das Programm der örtlichen Literaturtage. So vieles, das einen interessierte. So vieles, für das man sich gern Zeit nähme. Und dann fällt einem ein, kurz bevor man die Mail mit der Anmeldung abschickt, wie man bei der letzten Lesung gelitten hat.
Diese fürchterlichen Stühle, Modell Tagung, die nach einer Weile immer in der gleichen Weise unbequem werden, ob das Polster nun etwas dicker oder dünner ist, ob die Lehne etwas mehr oder weniger nachgibt. Ein Stuhl ohne Armlehnen ist an sich schon eine Zumutung, wenn man keinen Tisch vor sich hat. Aber die Veranstalter setzen gern noch eins drauf, indem sie diese scheußlichen Stühle auch noch ineinander verhaken, so dass man sie nicht einmal ein wenig hin- und herrücken kann. Darüber, dass die solcherart verhakten Stühle auch noch eine äußerst unangenehme Nähe zu den Stuhlnachbarn zu beiden Seiten erzwingen, wollen wir jetzt nicht reden. Das ist ein ganz eigenes Kapitel.
Selbstverständlich meldet man sich wieder an zur Lesung, zum Theaterprojekt. Die erste Viertelstunde vergeht in dem hoffnungsvollen Irrglauben, diesmal sei der Stuhl nicht ganz so unbequem. Und wenn er ausnahmsweise nicht am Nachbarstuhl vertäut ist, kann sich diese trügerische Hoffnung durchaus eine gute Stunde halten. Dann aber ist schlagartig Schluss. Die Hoffnung fällt in sich zusammen. Eben noch hat man minutenlang versucht, irgendwie eine Position zu finden, die eine weitere Stunde auszuhalten ist, als man begreift, es wird wieder enden wie bei der letzten Lesung. Mit dem hässlichen Vorsatz: „Das tue ich mir nicht mehr an.“
Natürlich hat man anfangs krampfhaft versucht, nicht daran zu denken, dass man den Stuhl mindestens eineinhalb Stunden nicht mehr wird verrücken können. Dass man selbst festgezurrt ist, festgelegt auf ganz wenige Sitzpositionen. Denn sobald man dem Gedanken Raum gibt, erzeugt er zwanghaft das Bedürfnis, genau so sitzen zu wollen, wie es im Moment nicht möglich ist. Ein Teufelskreis.
Ich gebe freimütig zu: Ich habe schon so auf unbequemen Stühlen gelitten (hab’ ich die Freilichtbühnen erwähnt?), dass ich der Kultur wiederholt abschwören wollte. Ich war zuletzt auf einer Freilichtbühne – vor mich hinleidend – nur noch damit beschäftigt, im Geist den Text der Schauspieler zusammenzustreichen. Gewiss, ich werde der Kultur treu bleiben, aber vielleicht tausche ich das asketische Ambiente der Hochkultur gegen die Wirtshaus-Atmosphäre beim Dorf-theater ein. Dort haben sie wenigstens Tische. Und man kann sitzen, wie man will – und trinken. Gabi Eichl