Irgendwann macht man mit. Ein schlimmer Satz. Einer mit historischen Ausmaßen. Also, noch einmal von vorne: Irgendwann mache ich mit. Aufatmen. Schultern lockern. Neuer Kontext (weg vom unangenehmen Thema der ideologischen Verführbarkeit, hin zu Freizeit-Banalitäten wie: Irgendwann bin ich auch mit von der Partie). Cool bleiben. Geht ja nur (?) um Sprachgewohnheiten und da mache ich, vergeht nur etwas Zeit, einfach mit, und ich glaube tatsächlich, dass das fast allen so geht. Sorry. Irgendwann macht man mit. Würde sich sonst sprachlich schnell ein bisschen wie hinterm Mond aufführen, bisschen ins Abseits schießen also, und haben Sie das bemerkt? Haben Sie das „tatsächlich“ bemerkt? „Und ich glaube tatsächlich …“. War nur ein paar Zeilen drüber … Wenn Sie nochmal hoch gehen, finden Sie es.
Was hat dieses Wort mich genervt! Es hat mich verrückt gemacht und es hat mich verrückt gemacht, dass es nur mich verrückt gemacht hat. Ich fand es sooo arrogant, kapierte gar nicht, was es überhaupt transportieren sollte außer einer gewissen Borniertheit, biss die Zähne zusammen, wenn jeder/jede Zweite vor jeden zweiten Satz ein „tatsächlich“ spannte.
Natürlich war das Wort an sich überhaupt nichts Neues, es war ein stinknormales Adverb, dessen man sich ab und zu bediente. „Sie kam tatsächlich schon wieder zu spät“, zum Beispiel, und da sollte dann ein bisschen Empörung mitklingen. „Er hat sich tatsächlich getraut.“ Ist doch auch ein ganz netter, solider Satz, oder? Das war vor dem Imperialismus.
Dann kam „tatsächlich“ und eroberte so gut wie jeden (gesprochenen) Satz, bis man nicht mehr nur mit „ja“ antworten konnte, sondern nur noch mit „tatsächlich ja“. Was mich in solchen Situationen wieder runter bringt, was mich vor besserwisserischen Zurechtweisungen schützt, ist die Analyse. Die eiskalte Analyse. Ich denke also nach. Denke, also: Was ist denn das für eine Mode, was steckt denn da dahinter, wo kommt denn das her, was macht dieses „tatsächlich“ so beliebt, wie konnte es sich bei jedem Mann, bei jeder Frau so einschmeicheln (Kinder sagen es weniger, glaube ich)? Was es inhaltlich genau mitbringt, kann ich bis heute nicht wirklich fassen. Es verstärkt ein bisschen das, was noch kommt. Sagt auch ein bisschen „stimmt“, „du hast es schon geahnt, oder?“. Hat sicher auch mit dem nahen Englisch, in das man jederzeit switcht, zu tun („indeed“, „actually“, „really“, „litteraly“).
Ich liebe es jedenfalls mittlerweile. Sage so Sachen wie „tatsächlich glaube ich“, wo mir früher ein „ich glaube…“ gereicht hätte. Und tatsächlich ist „tatsächlich“ ja auch viel schöner als „Tatsache ist“, das auch mal Konjunktur hatte. Und irgendwann ist es alt und irgendwann ist es abgenutzt und irgendwann geht es. Ich glaube, es geht schon ein bisschen.
Dika