Ein queerfeministischer Buchladen in schweren Zeiten gibt Kraft.
Von Sevda Cakir
Das Erbe des ersten Frauenbuchladens in Deutschland (1975-2023) anzutreten, ist und bleibt eine Herausforderung für den im Kollektiv geführten, neu ausgerichteten, queerfeministischen „Glitch Bookstore“. Das ehemalige Schild „Lillemor’s“ sowie einige Regale erinnern noch an historische Zeiten. Auch liegt ein Blatt aus, in dem sich Interessierte mit ihren Anliegen oder Sorgen an das Kollektiv wenden können – die ehemaligen Besitzerinnen berieten Frauen, die z. B. Gewalt erfahren hatten und halfen ihnen, auf die eigenen Beine zu kommen. Das breit aufgestellt Team von Glitch aus über 40 Ehrenamtlichen – rund um die Gründungsmitglieder Anne Kristin Kristiansen, Nadine Osbild, Sebastian Pfotenhauer und Johanna Hopp – ist für alle da, die sich eintragen und um Kontaktaufnahme bitten. Denn viele der treuen Stammkund*innen der Vorgänger-Buchhandlung sind dem neuen Leseladen gefolgt.
Glitch ist ein Safespace (ein Ort, an dem sich Menschen, die diskriminiert werden, vor Abwertung schützen können) und ein konsumfreier Ort, offen für Gruppen und Individuen, die sich austauschen wollen, ohne Geld ausgeben zu müssen. Sie können sich selbst organisieren und ihren Interessen Raum geben, oder es finden Lesungen auf Spendenbasis sowie intersektionale Veranstaltungen statt (mit Intersektion ist hier die Überschneidung und Gleichzeitigkeit verschiedener Formen von Diskriminierung gegenüber einer Person gemeint), zu denen eingeladen wird, meistens auf digitalem Weg mit Infos über Homepage, Instagram oder Newsletter. Vor Ort wird auch ein Plakatständer für aktuelle Meldungen genutzt, wenn z. B. die Kollektivmitglieder außerplanmäßig den Laden schließen müssen, um mit tausenden anderen dem Aufruf zu folgen: „Sei die Bandmauer!“.
Auch ohne den Skandal der CDU/CSU im Bundestag, der von den Münchner Protestierenden vor der Parteizentrale der CSU und auf Plattformen mit “#csu schämt euch!“ kommentiert wurde, müssen die Ehrenamtlichen im Glitch politisch achtsam sein. Sie haben es immer wieder mit Schmierereien an den Schaufenstern zu tun. Inzwischen werden die Info-Schriften von der Innenseite spiegelverkehrt angebracht, damit sie für die Kund*innen von außen zu lesen sind. Auch ist dem Kollektiv bewusst, dass die AfD ihre Wähler*innen auf Organisationen wie Glitch loslässt, damit sie anhand einer Checkliste ihre Existenz anzweifeln können. Das erinnert an Einladungen zu Denunziation wie aus den Geschichtsbüchern brauner Zeiten.
Lustige Anekdoten aus dem zentral gelegenen Buchladen gibt es glücklicherweise auch: Als einmal versehentlich ein älterer Mann eingetreten ist und sich mit einer kleinen Aufmerksamkeit für die freundliche Begegnung im Laden erkenntlich zeigen wollte, schenkte er einen Anspitzer in Rosa. Rosa scheint die Farbe zu sein, die in Verbindung mit den Themen gebracht wird, mit denen sich Glitch u. a. auch beschäftigt. In das Design des Ladens sind tatsächlich die Farben Lila, Gelb und Pink integriert. Auffällig sind auch die vielen Bücher mit in Pink und Rosa gehaltenen Covern, wie Selma Kay Matters „Muskeln aus Plastik“. Volltreffer: Hier geht es um queeres Begehren. Die an Long COVID erkrankte Hauptfigur mit dem Pronomen „dey“ erzählt in der Entdeckungsreise der Identitäten die Begegnung mit Menschen, die ebenfalls schmerzvolle Erfahrungen machen und daran wachsen, wie sie selbst.
Bei der Veranstaltung „Feministischer Salon“, einem vom Verein Frauenstudien konzipierten Format, das Ende Januar in der Barer Straße stattfand, erzählt eine langjährige Engagierte, dass bereits in den 1980er-Jahren zum Thema Diversität Vorträge gehalten worden seien. Dennoch seien die Erkenntnisse dieser Studien und wissenschaftlichen Abhandlungen in der Mehrheitsgesellschaft nicht weiterverfolgt worden, und queere Menschen würden immer noch angefeindet. Eine junge Mutter, die durch diese Veranstaltung auf Glitch aufmerksam geworden ist, zeigt sich erfreut, den besonderen Laden entdeckt zu haben, weil sie hier nicht-sexistische Kinderbücher finden kann.
Es gelingt diesem Bookstore auf Bücher aufmerksam zu machen, die sonst dem Fokus der Lesenden entgehen könnten wie z. B. Anna Hajkovas „Menschen ohne Geschichte sind Staub. Queeres Verlangen im Holocaust“. Hier wird eine Lücke in der Geschichtsschreibung geschlossen, queere Menschen im Holocaust erhalten dadurch einen Namen und eine Geschichte.
Eine weitere Möglichkeit, besondere Bücher zu entdecken, bietet die Reihe „Gemeinsamer Lesekreis“ – in Zusammenarbeit mit dem Lenbachhaus. Diese Plattform, die auch zur Kunstvermittlung dient, leuchtet unterschiedliche Aspekte eines im Kontext stehenden Themas aus. Auszüge aus Quellen, auch in englischer Sprache, werden zur Verfügung gestellt, um unkompliziert Zugang zu ermöglichen, sodass sich die Interessierten auf die Diskussion vorbereiten können. Im vergangenen Februar fanden an vier Abenden zur noch laufenden aktuellen Ausstellung „Aber hier leben? Nein Danke. Surrealismus + Antifaschismus“ Treffen statt. Die Gespräche gaben anschaulich wieder, wie eng schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sich der Surrealismus mit politischen Ereignissen verknüpft hatte, und wie Künstler*innen auf die Herausforderungen ihrer Zeit reagierten.
Mehr zu „Glitch Bookstore“ unter: glitchbookstore.de