Carlamaria Heims Gedenktafel am Johannisplatz 10

Von Michael Berwanger

Menschen, die ihr ganzes Leben in nur einem Stadt-viertel, ja sogar in nur einem Haus verbracht haben, sind eine Seltenheit. Zu diesen raren Personen gehörte Carlamaria Heim, die 1932 in Haidhausen am Johannisplatz Hausnummer 10 zur Welt gekommen war und 1984 dort starb.

Den meisten wird sie eher als Schauspielerin in Erinnerung bleiben denn als Literatin. Obwohl sie gegen den Trend der Zeit das Gymnasium absolvieren konnte, blieb ihr das erhoffte Germanistikstudium verwehrt. Dafür fehlte ihr schlicht das Geld. Ihre Mutter Josefa, über die Carlamaria ein außergewöhnlich anrührendes Porträt verfasste, musste sich und ihre Tochter mit Gelegenheitsarbeiten durchbringen, nachdem ihr Mann 1944 in Russland gefallen war. Heims Arbeitsleben begann im Öffentlichen Dienst, nebenher nahm sie Schauspielunterricht. Ihre Rolle als „Frau Bernbacher“, Gattin des Schlossers Bernbacher, in der Kinderserie „Meister Eder und sein Pumuckl“ machte sie berühmt, zudem war sie in „Die Wiesingers“ sowie in Helmut Dietls „Münchner Geschichten“ und „Monaco Franze“ zu sehen. Darüber hinaus begann sie in den 1960er Jahren, auch als Autorin für den Bayerischen Rundfunk zu arbeiten.

Ihr größter Erfolg wurde zugleich ihr letzter. Für das Romanporträt „Josefa Halbinger Jahrgang 1900“ bekam sie 1983 den Tukan-Preis der Landeshauptstadt. Vor dem Tod ihrer Mutter (1975) hatte Carlamaria Heim Gespräche über das Leben und den Stadtteil ihrer Mutter sowie ihre Ansichten über die Zeitläufte auf Tonband aufgezeichnet. Josefa Halbinger war zwar in Erching bei Hallbergmoos auf dem bischöflichen Schlossgut, wo ihr Vater als „Hausmaurer“ arbeitete, in der Werkswohnung über dem Saustall zur Welt gekommen, aber die Familie blieb nur kurze Zeit dort und zog 1901 nach Haidhausen in eine Einzimmerwohnung. Auf den knapp 140 Seiten des Interviewporträts gelang Carlamaria Heim ein ungewöhnlich zupackendes Zeitdokument, weil sie ihrer Mutter den Raum gab, sowohl ihre Erlebnisse zu schildern als auch über ihr Leben und die damit verbundenen politischen Ereignisse zu reflektieren. Und das in gerader, schnörkelloser Sprache, die getragen wird von der Liebe zur Heimatstadt, ohne dabei in Rührseligkeit abzugleiten.

Geprägt durch den Stadtteil Haidhausen, den Carlamaria Heim nie verlassen sollte, verfolgte sie mit Ingrimm die Gentrifizierung ihres geliebten Viertels, die einsetzte, als die „Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS)“ begann, die heruntergekommenen Mietshäuser aus der Gründerzeit – mit ihren Klos auf halber Treppe – zu sanieren. Was als Hilfe für die Haidhauser*innen gedacht war, endete als Spekulationswüste für neureiche Zugezogene, die plötzlich Altwohnungsbaubestände als „urig“ empfanden. Zwischen 1972 und 1980 engagierte Heim sich politisch für die SPD als Mitglied im Bezirksausschuss Au-Haidhausen und Vorsitzende des Sanierungsbeirats, wo sie die Interessen der Haidhauser Bürger*innen gegen Spekulanten vertrat – allerdings vergeblich. Sicherlich gehörte ihr Zorn auf die Ausplünderung ihres geliebten Stadtviertels mit zu den Gründen, warum sie am 9. April 1984 – mit nur 52 Jahren – durch Suizid aus dem Leben schied.

Aus Dankbarkeit für ihren unermüdlichen Einsatz ließ der Bezirksausschuss Au-Haidhausen im Jahr 2001 die von der Bildhauerin Sophia Hößle gestaltete Gedenktafel an ihrem Wohnort am Johannisplatz 10 anbringen.

Bisher in der Reihe erschienen: Gedenktafel für Franziska zu Reventlow an der Leopoldstraße 41, für B. Traven an der Clemensstraße 84, für Gottfried Keller an der Neuhauser Straße 35, für Annette Kolb in der Händelstraße 1 und für Schalom Ben-Chorin an der Zweibrückenstraße 8

Mehr über Gedenktafeln finden Sie unter:

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