Lesung eines zeitungs-bekannten Kolumnisten: Es wird heiter werden, es darf gelacht werden. Ein Lacher disqualifiziert an einem solchen Abend nicht. Die Atmosphäre ist gelöst, der Autor gibt sich leutselig. Auf den meisten Gesichtern das entspannte Lächeln des gediegenen Lesungs-Publikums vor unbeschwerter Kost mit Anspruch. Der Autor blättert, er hat noch keinen Satz gelesen, nichts gesagt, da bläst es aus einer der hinteren Reihen. Als wolle jemand einen Mückenschwarm fortblasen. Der Vorleser blickt nicht auf, lässt nicht erkennen, ob er den Bläser bemerkt hat. Auch die Zuhörer reagieren nicht. Dann die ersten Sätze der ersten Geschichte. Es gibt definitiv nichts zu lachen. Noch nicht.
Da bläst es wieder. Es ist dieses eher unangenehme Luftverströmen, das so gekünstelt wirkt wie es klingt. Seitenblick. Die Mundwinkel der Zuhörer beidseits zeigen in dieselbe Richtung wie die eigenen. Inzwischen wird der Autor tatsächlich lustig, verhalten-intellektuelles Glucksen allseits. Das seltsame Blasen ist nicht zu hören. Ein paar persönliche Sätze goutiert das gut erzogene Publikum mit höflichem Grinsen. Und der Bläser? Klatscht sich auf den Schenkel. Laut. Unüberhörbar. Die ersten Köpfe drehen sich. Aber für abfällige Blicke bleibt keine Zeit, es wird schon weitergelesen.
Die Geschichte strebt dem Höhepunkt zu, gleich darf erlösend proletarisch gelacht werden, da kommt der Menge eine zuvor: Viel zu früh kiekst sie in den höchsten Tönen, jetzt schaut auch der Autor irritiert. Man erwartet in diesem Moment, dass der pensionierte Oberstudienrat aufsteht und in den Raum wirft: „Gelacht wird, wenn es etwas zu lachen gibt. Wir lachen gemeinsam oder gar nicht.“ Der Oberstudienrat steht nicht auf.
Anderes Beispiel: Kammermusik im kleinen Kreis. Huster gehören zum Konzert, ohne die fehlte beinahe etwas. Und der ernsthafte Konzertbesucher weiß, wie er zu hüsteln hat. Der Profihuster kennt freilich die prominenten Stellen, die der Komponist nur dafür geschrieben zu haben scheint. Diese zarten Stellen, diese verletzlichen Stellen, in die selbst das in fest gewebtes Tuch Gehustete noch dröhnend platzt.
Aber auch diese Profis kennt man, auch sie gehören zum Konzert. Die Konzert-atmosphäre allein scheint ja schon Hustenreiz auszulösen. Aber es gibt das allseits akzeptierte Konzerthusten und es gibt menschliche Lautäußerungen, für die man spezielle Stöpsel erfinden möchte. Das sind dann jene Huster wie die beim Kammerkonzert, die an die Szene aus der Titanic-Schmonzette erinnern, in der Leonardo di Caprio Kate Winslet zeigt, wie man möglichst viel Spucke im Rachen sammelt, ehe man sie möglichst weit ins Meer hinaus bläst.
Sars-Cov-2 könnte uns von den Konzerthustern befreien. Die peinlichen Lacher kann nur der Oberstudienrat vergraulen.
Gabi Eichl