Wenn „das Schöne ist erst des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen“. Kommt uns bekannt vor. Irgendwie Schulzeit, Abitur. Aber vielleicht ist es ja umgekehrt. Das Schreckliche ist des Schönen Anfang?

Dass wir die Corona-Impfung hierzulande nicht organisieren können, beruhigt schon ungemein. Nie mehr werden wir uns anmaßen, einen – „Organisationstalent, deutsches!“ – Italiener zu kritisieren, Engländer zu belächeln, Franzosen zu bevormunden.

Es hat also sein Gutes. Wir hier in Bayern haben ja auch – völlig vom Glück erster Impfungen überschwemmt – Ende Januar über 1.100 Impfdosen weggeworfen, also etwa 220 Flascherln à fünf Dosen. Oder „weggeschmissen“, wie die SZ schreibt, die seit der Pandemie einen seltsam vulgären, salopperen Ton pflegt. Tja, wer dem Untergang ins Auge blickt.

Und kein Engel fasst unser Herz an, wie der Münchner Dichter Rilke meinte, der das mit dem „Schönen“ und „Schrecklichen“ schrieb, auf Schloss Duino, lange bevor er Mitte 1919 aus der ungeliebten Bayerischen Hauptstadt vor dem Wüten der Spanischen Grippe und reaktionären Polizeikräften in die Schweiz floh, keine Impfung in Sicht damals, weit und breit (er hätte auch, empörend, nur in die dritte Dringlichkeitsgruppe gehört)!

Wer geimpft wird, entscheidet in der Regel „vor Ort“ ein Engel in weiß. Sie/er scheidet kühlen Herzens, könnte man sagen, Sterben von Impfung. (In manchen Pflegeheimen werden kroatische Putzfrauen und deutsche Halbtagskräfte gar nicht erst gefragt.) In diesem Land, das sich 75 Jahre nach dem totalen Breakdown mehrmals den Lockdown verordnet hat, wird doch nicht etwa ein offener Verteilungskampf lodern? Bisher vollzog sich der ja eher subkutan. Nachdem der Grenznutzen materiellen Reichtums abgeschmolzen scheint, weil es wurscht ist, ob du einen roten Ferrari fährst oder blauen Fiat 500, mit TUI nach Malle düst oder im eigenen Jet, was nützt einem noch der Reichtum, die Beziehungen, der (oft angezweifelte) Titel? Alles demokratisiert, egalisiert, schon ganz schön ärgerlich für Otto Elitario. Eher ist es schon elitewichtig, seinen Kant, Marx oder – na schön – unsretwegen auch Rilke zu zitieren nach dem Aufwachen von der Schönheits-OP in der Klinik am Bodensee. Oder aber – eben – Connections zu haben zur Frau in Weiß, dem Engel mit der Spritze in der Hand, wie manche Funktionäre vom Deutschen Roten Kreuz et al.

Wie die Sache mit den Engeln in Rilkes  Duineser Elegien ausgeht – nicht sonderlich gut, kann man sich denken, „Leidland“ und so, das ganze Dasein. „Ein jeder Engel ist schrecklich“, das haben wir schon geahnt – man müsste sich also sofort hinsetzen und seine eigene Elegie zu Papier bringen, die Zeit ist reif! Ja, Papier! Kommt, das machen wir jetzt, ein jeder für sich, während uns, so traurigschön dichtend, die Mutante B 1.1.7 neidisch über die Schulter schaut, oh ja. Es ist so bittersüß!

W.H.