Der neue Band von Birk Meinhardt fordert seine Leser*innen

Von Michael Berwanger

Es gibt Bücher, die uns nicht zur Ruhe kommen lassen, weil sie Gedanken freisetzen, die uns zurückschrecken lassen, aus Angst, Argumente der falschen Seite anzunehmen. Der langjährige SZ-Redakteur Birk Meinhardt konfrontiert seine Leser*innen in seinem neuesten Buch „Abkehr“ – es trägt keine Genre-Bezeichnung – mit derartigen Gedankengängen.

Worum geht es? Meinhardts Alter Ego Erik Wirchow – wie der Autor geboren in der ehemaligen DDR – findet sich plötzlich inhaftiert, obwohl er denkt, dass er nichts verbrochen habe. Was ihm genau zur Last gelegt wird, wird erst am Ende des Buches erzählt. In der Haft beginnt der Protagonist sich schreibend über seinen Weg in die Justizvollzugsanstalt klar zu werden. Dabei wechseln seine Gedanken bzw. Notate zwischen Hafterlebnissen, Rückblenden in die DDR- und in die Nachwendezeit und allgemeinen gesellschaftlichen Betrachtungen.

Meinhardt, der mit seinem Roman „Brüder und Schwestern“ 2013 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, beschreibt minutiös die Gewalt im Gefängnis, aber auch die Gewalt der Polizei bei Inhaftierung und die Willkür der Justizvollzugsbeamten bei der Bewilligung von Hafterleichterungen. Er beschreibt den Werdegang seines Protagonisten nach der Wende, der sich von der Verlogenheit einer diktatorischen Gesellschaft in die Verlogenheit eines Pharmakonzerns rettet. Er beschreibt, wie die „Kinder der DDR“ sich freiwillig ihren Heimatwortschatz abtrainierten, um von den „Wessis“ nicht als Verlierer abgestempelt zu werden. Er wettert gegen selbstgefällige Redaktionen und Radiosendungen, die sich dann couragiert geben, wenn es für sie nichts zu befürchten gibt; gegen Verlage, die Literatur nicht mehr nachdrucken wollen, aus Angst, von der falschen Seite Beifall zu bekommen. Er schimpft auf Konzerne, die aus Geldgier Schönrednerei betreiben. Und er schreibt gegen die Machenschaften von Pharmakonzernen, die neue Krankheiten für ihre neuen Medikamente erfinden. All dies ist weder abwegig, noch herbeifantasiert, auch wenn die beschriebenen Firmen und Orte nicht existieren. Solche und so ähnliche Vorgänge gab und gibt es in der Realität zuhauf.

Birk Meinhardt, dessen preisgekrönter Roman „Brüder und Schwestern“ bei Hanser erschienen war und sein Band „Wie ich meine Zeitung verlor“ – eine kritische Auseinandersetzung mit der journalistischen Ausrichtung der SZ – bei Das neue Berlin, hat für sein „Abkehr – Ein Hafttagebuch“ keinen Verlag gefunden. Zu gefährlich schienen den Verlagen seine Kritik an den bestehenden Zuständen. Da das Bücherverlegen immer ein Vabanque-Spiel sei, so Meinhardt, habe er seinen Eigenverlag Vabanque genannt.

Die Vorstellung, dass in unserer heutigen Zeit kritische Stimmen keinen Verlag mehr finden, der sich traut, auch Bücher außerhalb des Mainstreams zu veröffentlichen, sollte einen stutzig machen. Denn in diesem Fall liegt es nicht an der Qualität des geschriebenen Wortes oder an der Klarheit der ausformulierten Gedanken, die eine Ablehnung hätten rechtfertigen können. Ein wichtiges Buch in Zeiten euphemistischer Schönfärberei.

Birk Meinhardt:
Abkehr – Ein Hafttagebuch
284 Seiten, Paperback
Vabanque Verlag
Berlin 2024
22 Euro