Von Sarah Neumann

Sie erwischte sich dabei, wie sie laut vor sich hin schimpfte. Sie war gerade erst aufgestanden und in die Küche gegangen und schon ärgerte sie sich über ihn. Wie er immer das Radio aussteckte, sodass sie erst warten musste, bis es den Sender wieder gefunden hatte und wie er immer die Gläser der Kinder wegräumte, aber nie wieder frische auf den Tisch stellte. Nein, das musste natürlich sie machen! Morgens um 5:30 Uhr, während er oben im Bett lag und noch schlafen durfte. Sie stand sicher nicht freiwillig so früh auf, würde auch lieber noch weiterschlafen. Ihr war klar, was er ihr darauf antworten würde: Es zwingt dich ja keiner, so früh aufzustehen. Du willst doch morgens noch „in Ruhe“ deinen Kaffee trinken! Das ganze Gespräch spulte sie in ihrem Kopf ab – sie kannte doch seine Antworten nur allzu gut – und ärgerte sich dabei immer weiter, während sie die Pausenbrote der Kinder schmierte, Karotten und Gurken in Scheiben schnitt und das Müsli auf den Esstisch stellte. Natürlich hatte sie vorher „die ekligen, weißen Flocken“, die Stella nicht mochte, heraussortiert. Wieder etwas, was er ihr nie abnahm. Dabei wollte sie gar nicht so sein. Sie würde gerne lächelnd vom Wecker geweckt werden, ihm einen schmatzenden Guten-Morgen-Kuss auf die bettwarme Wange geben, bevor sie aufstand, und gut gelaunt in den Tag starten. Sie wollte nicht miesepeterig und übellaunig sein. Wenn er sie nur mehr unterstützen würde, dann wäre sie sicher entspannter und netter, auch zu ihm. Wie hieß es so schön? Happy wife, happy life. Doch diesen Zusammenhang schien er schlicht nicht zu sehen.

Sie hörte seine Schritte auf der Treppe, die er verschlafen herunterschlurfte, und sah auf die Uhr. Ja, es war Zeit, die Kinder zu wecken. Schnell steckte sie noch die Brotzeitboxen in den jeweiligen Schulranzen und eilte nach oben, Richtung Kinderzimmer. Dabei trafen sie sich auf der Mitte der Treppe. „Morgen“, murmelte sie im Vorbeigehen, ohne ihn anzugucken und er erwiderte es in der gleichen Tonalität. „Morgen.“

Was hatte sie nur schon wieder? Konnte sie denn nicht einmal lächeln? War ein freundliches „Guten Morgen!“ wirklich zu viel verlangt? Er ging in die Küche und begann sich sein Frühstück zu machen, während er leise ihre Stimme von oben hörte. Liebevoll und geduldig versuchte sie die Kinder aus dem Bett zu lotsen – aber für ihn hatte sie nur ein kühles „Morgen“ übrig. Da war es doch kein Wunder, dass er lieber möglichst spät aufstand, um ihrer schlechten Laune zu entgehen. Er wusste schon, was passieren würde, wenn sie morgens gleichzeitig in der kleinen Küche hantieren würden. Sie würde genervt mit den Schubladen knallen und ihm deutlich zeigen, dass er ihr im Weg war, wo sie doch ach so sehr im Stress war. Das wollte er sich lieber ersparen. Natürlich war er froh, dass sie diese Aufgaben übernahm. Brotzeit machen, Kinder wecken, sie rechtzeitig in die Schule schicken. Aber sie übertrieb es einfach, benahm sich wie eine Märtyrerin! Es war ja nicht so, als würde er nicht auch seinen Beitrag leisten, aber das sah sie natürlich nicht. Wann hatte sie denn das letzte Mal den Rasen gemäht? Oder einen Termin in der Autowerkstatt ausgemacht? Er hatte schon seine Schüssel mit Porridge in der Hand und wollte hoch, an seinen Schreibtisch gehen – dort hatte er wenigstens seine Ruhe –, als sein Blick auf das Radio fiel. Das Gerät war schon wieder auf Standby. Das frisst doch völlig unnötig Energie! Seufzend zog er den Stecker.