Die Gedenktafel für Schalom Ben-Chorin zwischen Isartor und Isar

Von Katrin Diehl

Er war ein Münchner. Geboren wurde Schalom Ben-Chorin, der damals noch Fritz Rosenthal hieß, am 20. Juli 1913 im Haus Zweibrückenstraße 8, das mit stattlichem Doppelgiebel und schmucken Wandmalereien sein Aussehen bis heute kaum verändert hat. Die zwei Kriege scheinen um das schöne Stadthaus zwischen Isartor und Ludwigsbrücke gütig einen Bogen geschlagen zu haben. Eine Gedenktafel rechts vom Eingang, gestaltet von der Künstlerin Blanka Wilchfort, erinnert seit 2011 an den deutsch-israelischen Journalisten, Religionsphilosophen, Schriftsteller, Gelehrten, der sich voller Engagement und Idealismus „für den christlich-jüdischen Dialog“ einsetzte, der Bücher über Jesus, Paulus oder Maria als jüdische Menschen und aus der Perspektive der eigenen, der jüdischen Tradition schrieb. 1993 war Schalom Ben-Chorin zu seinem 80. Geburtstag von Deutschland das „große Bundesverdienstkreuz mit Stern“ verliehen worden. Die Gedenktafel zeigt ihn in Bronze gegossen im Profil, lächelnd, gütig, mit Glatze und Schnauzer, allerdings ohne diese dicke Brille, die ihm oft ein bisschen schief auf der Nase schaukelte, auch ohne schräge Baskenmütze, die so gut zu ihm passte.

Mit gerade einmal 15 Jahren tritt der Junge Fritz vor die Tür seines bürgerlichen Zuhauses (die Familie lebte da dann bereits in der Oettingenstraße 23). Es ist kalt, Schneeflocken fallen. Das Jahr 1928 neigt sich seinem Ende zu und es weihnachtet sehr. Bei den Rosenthals glänzte im Salon der Weihnachtsbaum, wie er das zu dieser Zeit in nicht wenigen guten Stuben jüdischer Familien in Deutschland zu tun pflegte. Man gehörte dazu, besser gesagt, man wollte dazugehören. Doch Fritz behagte das nicht. Er drehte an diesem Abend Haus und Familie den Rücken zu, setzte seine Schülermütze auf, stapfte los und fühlte sich elend. „Ich spürte … zutiefst, dass wir kein Recht hatten, ein Fest der Christenheit zu begehen und gleichzeitig an unserem Judentum festzuhalten. Es war eine schmerzliche Erkenntnis, denn ich liebte dieses Fest mit allen Sinnen“, sollte sich Schalom Ben-Chorin Jahre später in seinem biografischen Büchlein „Jugend an der Isar“ (1974) erinnern. Er ging Richtung Schwabing, kam bei seinem zehn Jahre älteren Freund Adolf Rotter, dessen streng orthodox lebender Familie, die in der Schellingstraße wohnte, unter. Fritz wird studieren, Germanistik und Religionswissenschaften an der Münchner LMU, daneben wird er noch ein Buchhändlerlehre hinlegen. Und er wird wieder seine Mütze aufsetzen und gehen. Dieses Mal dann wirklich ganz und äußerst konsequent nach Palästina. Da war Hitler bereits zwei Jahre an der Macht und Fritz Rosenthal mehrere Male von den Nazis verhaftet, geschlagen und getreten worden. Er lebt in Jerusalem, ändert seinen Namen ganz offiziell in Schalom Ben-Chorin um, schreibt für Zeitungen, schreibt Bücher, empfängt in seiner kleinen vollgestopften Wohnung im Jerusalemer Stadtteil Romema Gäste und trägt ewig München in seinem Herzen, weshalb er Einladungen der Münchner Literaturhandlung, der LMU, der Katholischen Akademie … immer wieder annimmt. Und dann sieht man ihn, untergehakt bei seiner Frau Avital die Straßen seiner Kindheit und Jugend abgehen.

1999 starb Schalom Ben-Chorin in Jerusalem. Sein Arbeitszimmer fand 2009 von dort aus seinen Weg ins Stadtarchiv München, wo es sich verwaist, aber voller gedankenschwerer Atmosphäre besichtigen lässt.

Bisher in der Reihe erschienen:
Gedenktafel für Franziska zu Reventlow an der Leopoldstraße 41, für B. Traven an der Clemensstraße 84, für Gottfried Keller an der Neuhauser Straße 35 und für Annette Kolb in der Händelstraße 1