Künstliche Intelligenz im Münchner Literaturbüro
Von Wolfram Hirche
Die Künstliche Intelligenz (KI) literarisch einzufangen war das Thema zweier Abende im Münchner Literaturbüro Ende letzten Jahres. Sieben Autorinnen und Autoren haben sich der Herausforderung vor einem kritischen und diskussionsfreudigen Publikum gestellt.
2019 war ja nicht nur das Jahr des Klimaprotestes, der Peter-Handke-Schlacht und des literarischen Doppel-Nobelpreises, sondern auch der aufgeregten KI- Berichte. Die Künstliche Intelligenz oder Artificial Intelligence ist in aller Munde. Nach unzähligen Artikeln und Serien in der Süddeutschen Zeitung, der Zeit oder der FAZ zum heißen Thema des Jahres, nach uralten literarischen Würfen wie E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ (1816) und Ian McEwans „Maschinen wie ich“ (2019) war es an der Zeit, das Thema aufzugreifen.
Zunächst wagte sich der Münchner Autor Horst Oberbeil in einem Kurz-Essay auf das Glatteis der „Emotionalen Intelligenz“ und des selbstlernenden Computers. Bleibt das elektronische „Hirn“ zwangsläufig immer im Gefängnis des von Menschenhand Einprogrammierten oder kann es sich – selbstlernend daraus befreien? IT-Spezialisten in Osaka und Ostberlin trainieren, wie man lesen konnte, anhand frühkindlicher Modelle das „soziale Verhalten“ von Robotern. Metaphysiker und religiöse Menschen stehen naturgemäß wolkenhoch über der Sache. Oberbeil kam zu dem Schluss, dass spätestens bei der „Emotion“ die Grenze künftiger Entwicklung liege: Zumindest ein Roboter mit Emotionen sei nicht zu erwarten- das Publikum widersprach teilweise heftig. – Auch humanistisch gebildete (Platon winkte!) Diskutanten – verwiesen auf die metaphysische Dimension des Menschen, während die eher technisch-naturwissenschaftlich Gewirkten kaum Grenzen des Computer-Hirns erkennen mochten.
Dann folgten Kurzgeschichten, in denen es zu Begegnungen zwischen Menschen, Androiden und Robotern (kurz auch „Bots“ genannt) kam, die mal gut und manchmal schlecht für den Menschen endeten. Die Autoren waren sich der Überlegenheit der menschlichen Spezies absolut nicht sicher. Aber sie wollten den Roboter auch nicht, wie Ian McEwan („Maschinen wie ich“) in seinem letzten Bestseller, an der menschlichen Widersprüchlichkeit scheitern lassen: Kein Roboter brachte sich in diesen Texten um, weil ihm die Menschen zu „amoralisch“ waren. Doch wie McEwan boten Autorinnen und Autoren große Science-Fiction-Entwürfe und gaben sich nicht mit Kleinkram ab wie Sprachsteuerungscomputern und Kosten-Nutzeneffekten.
Susi Bergmann etwa schilderte in „Home smart home“ eine ideale Familienidylle, die sich urplötzlich auflöst, als der Strom ausfällt: Nur Mutter ist echt Mensch, der Rest besteht aus Hologrammen. Großes Bedauern scheint damit allerdings nicht verbunden; das Familien-Setting wird als Normalfall abgebildet.
In Werner Leutners Story „Der Androide Ion 3 taucht unter“ hat sich schon eine ganze Gesellschaft von Kunstmenschen im Alltagsleben eingerichtet. Es gibt allerdings noch einen menschlichen „Erbauer“, der dem künstlichen Geschöpf den „Emotions-Chip“ eingepflanzt hat und ihn schließlich rettet – vielleicht aus Mitgefühl, vielleicht aus Stolz auf sein Geschöpf. Der Androide soll von seinen Artgenossen verschrottet werden, bekommt Angst, flieht und überfällt andere, um „Energie abzusaugen“. Sein Konstrukteur rettet ihn endlich – manchem Zuhörer mag es tröstlich erschienen sein, dass es in literarischer Fantasie noch solch einfache, analoge Lösungen gab.
Die zentrale Frage, wann die „Technologische Singularität“ eintreten wird, konnte weder vom Publikum, noch von den drei sprachlich geschliffenen Storys des zweiten Abends beantwortet werden. Der Punkt, ab dem Computer (Roboter, Androide) sich außerhalb ihrer Programmierung bewegen werden, weil sie selbständig zu lernen im Stande sind, war im Publikum umstritten. Kein Autor jedoch legte einen vom Computer entworfenen Text vor, wie Moderator Ulrich Schäfer-Newiger ironisch monierte.
Elvira Steppacher eröffnete den zweiten Abend mit einem sprachlich virtuosen Roman-Auszug, in dem die Welt der Tiere konfrontiert wird mit Künstlicher Intelligenz, die ihre Erkennung ermöglicht. Natur wird in Interaktion mit Technik durchgespielt. Rolf K.Siegmann las seine klassische Kurzgeschichte mit Liebesbeziehung Mensch-Maschine „Er ist doch ein Mensch“ vor, in der es dem Menschen nicht mehr so ohne weiteres gelingt, den Roboter auszuschalten. Im Gegenteil, ihm, dem Menschen, droht der Tod, und nur die fragwürdige Liebe eines anderen Roboters vermag den Menschen zu retten. Mitleid oder antrainiertes Sozialverhalten? Zum Finale stellte der Moderator den Münchner Schriftsteller Nikolai Vogel vor, der eine Essay-Story aus den 90er Jahren vortrug: „Computer“. Darin erzählt ein Unbekannter (möglicherweise Überlebender) von der Erde im Jahr 158 „nach Abschaffung der menschlichen Arbeit“. Hier spielt die Sprache eine Schlüsselrolle: Romane werden von Robotern für einen kleinen Restkreis elitärer Menschen verfasst – Lösbar durch Nachahmung, Vernetzung, künstliche Fantasie.
Die realen, ökonomischen Bedingungen der KI und ihre Akzeptanz durch den „Markt“ wurden literarisch kaum berührt – der große, geniale Blick in künftige Roboter-Welten schien den Autor*innen an beiden Abenden wesentlich verlockender und zog das Publikum begeistert in den Bann.