Der Mann und seine Erektionen. Einst ein Tabu, vielleicht eines der letzten. Jörg Hube als Herrmann rühmte die seinen vor Jahren gegenüber Ehefrau Helga (Franziska Walser) in dem vergessenen Stück „Nicht Fisch nicht Fleisch“ Sie solle die Chance nützen!
F. X. Kroetz nahm damit auf der Bühne der Kammerspiele männliches Potenzgehabe aufs Korn. Die Frau wollte (aber, schon damals) nicht näher darauf einsteigen. Karriere im Kopf. – Gutes altes Sprechtheater. Jedes Tabu ist verhandelbar, alles kann man auf die Bühne bringen!

Und dennoch genügt es vielen Theaterleuten nicht mehr, vielen Regisseuren, Intendanten, Schauspielern. Dagegen will Claus Peymann, 80, der ehemalige Theater-Revoluzzer, auf einmal die Tradition retten. Aus Berlin verabschiedet, bringt er mit seiner zwei Jahrzehnte jüngeren Gefährtin jetzt in Stuttgart König Lear auf die Bühne. In Interviews greift er das marode moderne Theatergewese heftig an. Wir sehen es ja in München: Serienweise werden Romane zu „Stücken“ zerlegt, vorzugsweise Dostojewski, in „Performances“ wird durchaus „Interessantes“ dargeboten – doch nur selten gelingt es.

Der Zuschauer, der unvorbereitet ins Theater geht, ist überfordert – ja ja ja, er müsste sich eben vorher mit der Inszenierung befassen, meint der schlaue C. Bernd Sucher in seinem „Kleinen Theaterversteher“! Wenigstens eine Stunde lang vorbereitend hineinknien, um herauszufinden, was die Theater-Profis genau eigentlich „sagen“, zeigen, andeuten wollen, aber kann er das, will er das? Muss er sollen? Immerhin haben die Kammerspiele, mit 150 Euro pro Ticket städtisch subventioniert, in einer Saison über 20.000 Zuschauer verloren, aber egal.

Keine Sorge, murmeln die Kenner, jede Generation von Regisseuren mordet ihre Väter! Im Moment sind ihnen die Zuschauer halt mal wieder wurscht.

Frank Castorf zum Beispiel hat am Berliner Ensemble seine Theaterversion des V. Hugo-Wälzers „Les miserables“ gnädig von 7,5 auf sechs Stunden reduziert. Ist doch schon was! Sicher eine tolle Beschäftigung für Dramaturgen, das Ganze. Aber gewinnt man so (nur beispielsweise) die theatermüde Jugend? Vielleicht ist ja diese Jugend überhaupt der alten Medien müde. Will keine Zeitungen (sterben), keine Kinos (sterben schon lange), keine Bücher (schon tot), keine Klassik-Konzerte (was ist das?). Und Theater schon gar nicht. Will nur Krawall und Rausch? – so schon die Klage seit Socrates. Oder gibt es denn keine guten Stücke mehr, die unsere Gegenwart thematisieren? – Unsinn! Die Theaterverlage quellen über von neuen Texten. Zu den Deutschen kommen die modernen, gut übersetzten Engländer, Franzosen Amerikaner hinzu. Aber, versprochen: Wir haben Waldsterben, Ozonloch und mit Nadeln gespickte Herrenhemden überstanden – wir werden auch diese xte Theaterkrise ganz locker überleben!

W.H.