Ein verwegener „Pseudo-Thriller“ aus München
Von Michael Berwanger
Es macht Spaß, zwischen all den Selbstbefindlichkeiten und Nabelschauen der deutschen Gegenwartsliteratur einmal einen versponnenen Roman zu lesen, der mit Realitätssinn wenig zu tun hat. Schon die Genre-Bezeichnung „Pseudo-Thriller“ kann einen neugierig machen. Der Roman „Umlaufaufzug“ von Reiner Jansen ist Krimi, Fantasy, Weltbetrachtung und Gesellschaftskritik zugleich.
Der aufstrebende, durchaus selbstgerechte Jungautor Torsten Todenhöfer wird wieder einmal zu seinem Verleger, Arthur Dressler, zitiert, ein Patriarch alten Schlags, dem die Krimiplots des Schreiberlings zu düster sind. Todenhöfer hatte sich die Geschichte eines Auftragskillers ausgedacht – er nennt ihn „Anatol, genannt Anton“, der seine „Kunden“ mit einem Bolzenschussgerät eliminiert. Dressler wünscht sich aber mehr „Luftig-Lockeres zum Schmunzeln“ und – vor allem – eine Rahmenhandlung, die den Krimi weich einbettet, denn Dressler geht es nur um Verkaufszahlen. Er braucht eine neue „Cashcow“, die ihn und seinen kostspieligen Verlag finanziert. Der Verlag residiert in einem feudalen mehrstöckigen Haus aus der Gründerzeit (man denkt sofort an die alten Verlage in Schwabing oder Bogenhausen), in dem – neben einem modernen Lift – noch ein stillgelegter Umlaufaufzug existiert, ein so genannter Paternoster.
Gekränkt und verstört, da er nicht weiß, woher er eine Rahmenhandlung nehmen soll, schleicht Todenhöfer durch den langen Flur der Bel-Etage zum Lift, wo er feststellt, dass der Umlaufaufzug zu Wartungszwecken in Betrieb ist. Aus Neugierde und dem Gefühl, im Boden versinken zu wollen, was sich in einem Paternoster durchaus versinnbildlicht einstellt, springt er in die abwärtslaufende Kabine, obwohl Platzangst auch zu seinen Wesenszügen gehört. Das Umsetzen der Kabine im Keller von einem Schacht in den anderen erzeugt nicht nur grummelndes Rumpeln, sondern auch einen Seitwärtsruck, der Torsten kurz aus dem Gleichgewicht bringt und – wie er später feststellen muss – die Zeitabläufe leicht durcheinanderbringt. Aber nur ein ganz klein bisschen. Außerdem glaubt er im dunklen Keller eine Person oder ein Etwas spüren zu können. Da Todenhöfer das Erlebte nicht verarbeiten kann, benutzt er immer wieder den Paternoster, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt, bis plötzlich „Anatol, genannt Anton“ im Keller zusteigt. Kurze Zeit später stirbt Herr Dressler – mit einer Bolzenschusswunde auf der Stirn.
Das schräge, leicht absurde Setting des Romans, in dem noch andere Handlungsstränge verwoben sind, spielt sowohl mit unseren Urängsten als auch mit der Einsteinschen Frage nach der Abhängigkeit von Raum und Zeit. Die Vorstellung, von einer Romanfigur Hilfe bekommen zu können, ist zwar nicht neu, aber hier von Jansen herrlich verquer inszeniert, denn Todenhöfer will nicht geholfen bekommen. Jansen stellt gekonnt grundsätzliche Überlegungen über Sinn und Zeit an. Dass dabei manche philosophischen Ansätze übererklärt werden, ist allerdings schade. Das Springen durch verschiedene Zeitebenen und Genre-Ansätze bietet aber viel Lesespaß und treibt den Plot voran. Als besonderes Bonmot hat Reiner Jansen am Ende noch „Outtakes“ angehängt, wo er zum einen misslungene Kapitelanfänge veröffentlicht, zum anderen sich selbst eine vernichtende Kritik schreibt, indem er Dennis Scheck mit seinem „… und jetzt aus der heiligen Stadt Köln die aktuelle Bestseller-Liste Belletristik“ karikiert.
Reiner Jansen:
Umlaufaufzug
Pseudo-Thriller
Broschur, 336 Seiten
edition tingeltangel, München 2024
19 Euro