Eine Gedenktafel in der Händelstraße in Bogenhausen erinnert an Annette Kolb
Von Marie Türcke
Als wir in den LiteraturSeiten München im Sommer beschlossen, eine neue Reihe zu Ehrentafeln von Münchner Autor*innen zu machen, hatte ich angefangen zu recherchieren. Es gibt natürlich viele Literat*innen, und man will ja am liebsten über solche schreiben, die einen persönlich anregen – wo man vielleicht selbst etwas Neues entdeckt, oder die irgendwie in die Münchner Geschichte verstrickt sind.
Annette Kolb war mir damals noch unbekannt, ich fand sie in Wikipedia in der Liste zu Ehrentafeln in München. Kurz darauf stieß ich in einem Secondhand-Laden auf ein Buch mit ausgewählten Briefen zwischen ihr und ihren Freund*innen: „Ich hätte dir noch so viel zu erzählen“ – Briefe an Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Vor mir breiteten sich Briefe aus an Klaus und Erika Mann, Hermann Hesse, Kurt Tucholsky, Erich Kästner und viele mehr. Und im Frontispiz eine handschriftliche Notiz „Annette Kolb, kennengelernt in Badenweiler 1965“.
Annette Kolb wurde am 3. Februar 1870 in München geboren. Als Tochter einer Pariserin und eines Münchners, noch dazu eines illegitimen Wittelsbacher Sprösslings, wuchs sie in glücklicher Kindheit auf, mehrsprachig, und trug schon früh die Idee der deutsch-französischen Freundschaft im Herzen. Eine Idee, die bald schon zwei Weltkriege zu überstehen hatte. Ihre Karriere als Schriftstellerin begann eher spät, erst ab 1906 erlangte sie langsam Anerkennung als Autorin.
Als lautstarke und vehemente Pazifistin wird sie in beiden Weltkriegen ins Exil gezwungen. So lebte sie an vielen Orten, hatte ein Haus in Badenweiler, und verbrachte viel Zeit in der Schweiz, in Frankreich (1936 nahm sie die französische Staatsbürgerschaft an), in New York, in Irland und natürlich immer wieder auch in München.
Trotz der vielen Jahre im Exil und der teilweise großen finanziellen Schwierigkeiten, in denen sie sich wiederfand, sind ihre Romane häufig von einem heiteren Ton geprägt. 1934 erschien ihr Roman „Die Schaukel“, in welchem sie ein heiteres München zwischen den Jahren 1870-1900 lebendig werden lässt. Aber sie konnte auch anders. Während des Ersten Weltkrieges hielt sie in Dresden einen Vortrag, in welchem sie sich für eine pazifistische, länderübergreifende Zeitschrift einsetzen wollte, gegen die hetzerischen, kriegsverherrlichenden Medien der Gegenwart. Das Publikum schrie sie nieder. In die Schweiz entflohen, schrieb sie in Artikeln ihre Gedanken dazu.
Abgesehen von einem weiten Repertoire literarischer Gattungen hatte Annette Kolb aber noch ein weiteres, wunderschönes Talent: Sie pflegte hingebungsvoll ihre Freundschaften und schloss immer wieder auch neue. Thomas Mann verewigte seine langjährige Freundin im Doktor Faustus in der Figur der Jeanette Scheurl.
Wenn man sich Kolbs Briefe durchliest, sind diese voller ehrlicher Hingabe an ihre Freunde. „Lieber verehrter Freund“, schreibt sie 1939 an Hermann Hesse, „Ma très-chére Dory“, an Theodora von der Mühll, an Erika Mann schreibt sie 1964 „Nie hast du so schön geschrieben und ich denke bewundernd an dich. […] In Treue und Liebe Deine Annette“.
In der Händelstraße 1 in Bogenhausen ist eine Ehren-tafel für sie angebracht. Der Bau dort ist nicht mehr dasselbe Haus wie vor dem Krieg. Sie schreibt: „Unauffindbar das Haus, selbst die Strasse, in der wir einst lebten, nur Trümmer rings umher.“ Aber statt sich in die Vergangenheit zu flüchten, schöpfte Kolb wieder Kraft und Hoffnung und kämpfte für ein friedliches Europa und die ersehnte französisch-deutsche Freundschaft.
Und endlich trafen ihre Ideen und die des Zeitgeistes zusammen – u. a. erhielt sie das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, wird Ehrenbürgerin von Badenweiler und wird Chevalier de la Légion d’Honneur in Paris.
1967 starb Annette Kolb in München.
Die Briefe an ihre Freund*innen sind ein schöner Anlass, den eigenen Freund*innen mal wieder einen Brief zu schicken oder eine Mail oder auch eine Text-Message. Und beneidenswert, wer dieses Buch vor mir besaß und diese Frau damals 1965 in Badenweiler kennenlernen durfte!
Bisher in der Reihe erschienen:
Gedenktafel für Franziska zu Reventlow an der Leopoldstraße 41, für B. Traven an der Clemensstraße 84 und für Gottfried Keller an der Neuhauser Straße 35