Von Ruth Neureiter

Ich erinnere mich an einen kleinen Goldbarren in meiner Handtasche. Er muss dort schlummern seit dem Schreibseminar in Lindau, unter vielen anderen Dingen, die ich mit mir herumtrage: Geldbörse, Notizbuch, diverse Stifte, Kinokarte, Parkschein, Papiertaschentücher, Kontoauszüge, Visitenkarten und Reisepass, Autoschlüssel, Einkaufszettel.

Das fällt mir jetzt ein. Ich hatte mich bereit erklärt, stellvertretend für eine Kollegin ein Seminar zu leiten. Während des Wochenendes hier auf der Insel. Es ist stockdunkel in meiner Zelle im Kloster. Während ich auf den Schlaf warte, spukt dieser in meiner Erinnerung goldverpackte Schokoladenriegel in meinem Kopf herum. Ich hatte vor dem Löschen des Lichts noch etwas über die Fastenregeln der Benediktinermönche gelesen. Das kleine Heft befand sich in dem Nachtschränkchen neben dem Bett.

„Nicht nachgeben“, sagt eine meiner inneren Stimmen – ich schätze, das ist die strenge, die vorbildliche, die, die überhaupt kein Problem hat mit dem Verzichten und die sich auch daran erinnert, dass in den Regeln für Benediktiner steht, dass, wer gegen die Regeln verstößt, gezüchtigt werden muss. Vor allem die jungen Mönche.

„Ich bin nicht mehr ganz jung und auch kein Mönch“, sagt eine meiner anderen Stimmen. Und da vernehme ich eine weitere, die flüstert: „Jetzt kannst du die Geschichte schreiben, wegen der du die Praline aufgehoben hast.“

Ich taste nach dem Schalter der kleinen Lampe hinter dem Kopfende des Bettes, bekomme meine Brille zwischen die Finger, taste weiter … „Das ist das Telefon.“ „Jetzt!“ „Der Lampenschirm“, an seinem Rand abwärts. „Das ist der Fuß“, und dann taste ich den Schalter, drücke darauf und: „Es werde Licht!“

Ich bin mit einem Satz aus dem Bett und zu der Schandtat bereit, den vermeintlichen Goldbarren aus der Tasche zu fischen. Die rechte Hand gräbt zwischen all den Dingen, die meine sackähnliche rote Tasche belagern. Ich weiß genau, wie er sich anfühlen muss, der „Goldbarren“. Ich habe ihn ja vor drei Wochen da hineinverschwinden lassen.

Ich bekomme einen Lippenstift zu fassen. „Der ist zu rund.“ „Da ist etwas, das sich ähnlich anfühlt.“ Es ist das Fläschchen mit dem Zitronengrasrollstift, dessen Inhalt beim Schreibseminar geholfen hat, über die schlechte Raumluft hinwegzutäuschen. Ich lasse es wieder in dem Sack verschwinden. Und dann, es fühlt sich nach dem goldbarrenförmigen süßen Geheimnis an.

Der Goldbarren liegt vor mir und hat ausgeharrt, bis ich zum Kern der Geschichte vorgedrungen war – und auch zu deren Ende. „Nougat – Chabert & Guillot“ steht auf dem lachsfarbenen Papierstreifen, der sich über das darunterliegende Goldpapier schmiegt. Bei vorsichtigem Auswickeln schleicht sich ein Duft in meine Nase, dem ich nicht widerstehen kann. Zähne, Zunge und Speichel lassen all die Süße zum Schmelzen bringen und an ein paar Nusssplittern knabbern.

Schon jetzt ist es Erinnerung. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Ich lösche das Licht.