Kennen Sie den Unterschied zwischen Milch und Vollmilch? Nein? Also: Vollmilch – das klingt doch schon wesentlich bedeutender als nur Milch, oder? Dabei ist es genau umgekehrt. Bei Vollmilch wird – wie es im Amtsdeutsch heißt – „der Fettgehalt in der Molkerei eingestellt“ – bei 3,5 %. Milch – also die „nur“-Milch – hat aber einen höheren Fettgehalt. Ein klassisches Beispiel für Bezeichnungen, die einen Mehrwert suggerieren wollen, wo gar keiner ist. Derer gibt es viele: Miserable Leistungen nennt man „suboptimal“, süße Joghurt-Pampe „ist so wertvoll wie ein kleines Steak“ (wobei die Frage wäre, was an einem Steak wertvoll sein soll), Schokoriegel für Kinder haben eine „Extraportion Milch“.

Der Bayerische Rundfunk hat sich für sein Kultur-Programm B2 vor geraumer Zeit auch so einen Euphemismus einfallen lassen. Das Zusammenmantschen aus Wiederholungen und häppchenweiser Ausstrahlung zukünftiger Produktionen garniert mit ein paar Interviews und Popmusik aus der untersten Schublade des Kleinsten-gemeinsamen-Nenners nennt sich seither „Der Große Kultursonntag“. Was anfangs aussah wie eine stümperhafte Sparmaßnahme, muss inzwischen als gezielte Vorbereitung zum Kahlschlag der Kultur im Programm B2 betrachtet werden.

So schön hat sich die BR-Spitze das vorgestellt: Man bespricht in Hinterzimmern, dass man „zehn Stunden Kulturprogramm pro Woche“ einsparen möchte, vereinbart Stillschweigen, und dann plaudert doch wieder irgend so ein Depp, und das ganze sickert durch – einfach ärgerlich. Nach anfänglicher Tauchstation wurden Nebelkerzen mit Formulierungen wie „digitale Transformation“ und „Zukunftssicherung“ lanciert. Programmchef Stefan Maier sprach davon, dass „marginale Kultur“ der „Jugend nicht vermittelbar“ sei. Ab April 2024 sollen Kulturbeiträge über den Tag verteilt eingespeist werden: Rezensionen zwischen Pop, Royals und Politik. Die Kulturredaktion würde zum Zulieferbetrieb für das Infotainment. Um ein oder zwei Kulturberichte hören zu können, müssten Hörerinnen und Hörer ein Drei-Stunden-Programm mit „Heimatsound“ über sich ergehen lassen. Kultur als akustische Schnitzeljagd.

Beliebte Sendungen wie „Diwan – das Büchermagazin“ oder „radioTexte – Lesungen mit Autorengespräch“ hatten die BR-Macher schon in den „Großen Kultursonntag“ verklappt. Und am Wochenende nach Mitternacht läuft auf B2 ohnehin nur noch das „ARD-Nachtkonzert“ – einheitlich für alle neun Rundfunkanstalten. Wiederholungen seicht-klassischer Musikproduktionen der Rundfunkorchester aus dem letzten Jahrtausend. Das spart auch noch GEMA-Gebühren und Honorare für Kunstschaffende.

Wenn der Programmchef in  sich hinein nuschelt, „dass wir künftig nicht mehr alles selbst machen müssen“, muss man kein Schelm sein, um sich vorzustellen, wie das „neue“ Programm für den Sonntag in Zukunft heißen könnte. Vielleicht „ARD-Tageskonzert“?

Michael Berwanger