Es kommt nicht oft vor, dass es die Literatur in die Abendnachrichten des Fernsehens schafft. Der spektakuläre Ankauf des Rilke-Nachlasses durch das Deutsche Literaturarchiv Marbach war wieder einmal einer dieser seltenen Gelegenheiten. Wie zu erfahren war, habe ein Konsortium aus Bund, Land und privaten Geldgebern einen erklecklichen Betrag zusammengetragen, um den Kauf des Nachlasses finanzieren zu können. Über die Kaufsumme (ein zweistelliger Millionenbetrag, wie gemunkelt wird) habe man Stillschweigen vereinbart. Warum eigentlich Stillschweigen? Um nicht bekanntgeben zu müssen, wie viel der Promi-Anwalt abgegriffen hat? Oder – wie die Archivdirektorin Sandra Richter nuschelte – um den Preis für zukünftige Ankäufe nicht von vorneherein in die Höhe zu treiben?
In Deutschland wird ohnehin nie über Geld gesprochen. Das gilt als unedel. Die beste Methode, um Ungleichbehandlungen zu konservieren. Frauen werden weiterhin schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen und ein Fachanwalt für „Arts and Cultural Institutions“ würde für das Kümmergehalt des erwerbstätigen Durchschnitts noch nicht einmal sein onduliertes Haupt erheben.
Die vereinbarte Verschwiegenheit sei kein Problem, meinte die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, es seien ja weniger Steuergelder, als vielmehr Zuwendungen von Stiftungen, und lobte den Schulterschluss. Worüber sollte man sich dabei mehr ärgern? Dass es der Staat, der die Pflicht zur Daseinsvorsorge hat – dazu gehört auch kulturelle Teilhabe –, versäumt, ausreichend Steuern von jenen Konzernen und Industriedynastien einzutreiben, die ihre massiven Gewinne in steuerbegünstigende Stiftungen und Public-Private-Partnership-Projekte stecken, um dadurch Politik nach Gutsherrenart zu betreiben? Oder dass die Kultur einen derart niedrigen Stellenwert hat, dass – in Zeiten von Wumms- und Doppelwumms-Milliarden – die Öffentliche Hand noch nicht einmal für ein kulturelles Erbe von solcher Weltgeltung ausreichend Mittel berappt, um es der Nachwelt erhalten und der internationalen Forschung zur Verfügung stellen zu können?
Schon Robert Menasse argwöhnte bissig in seinem preisgekrönten Roman „Die Hauptstadt“, dass das Kultur-Ressort der EU immer an jene Länder gehe, die nicht wirklich mitspielen dürften. Das soll jetzt aber auf keinen Fall heißen, dass Bulgarien drittklassig sei.
Ah, jetzt kann man die Geizkrägen schon rufen hören: „Warum haben die Erben den Nachlass nicht gespendet?“ Interessante Frage. Vielleicht, weil in unserem Land nichts umsonst ist? Oder weil niemand das von der Oma geerbte Häuschen freiwillig an Bedürftige weiterspenden würde? Oder weil nur das einen Wert besitzt, was etwas kostet?
Manchmal möchte man in Berlin bei der Bundes-Beauftragten anrufen und schreien: „Frau Roth, wo bleibt der Doppelwumms für die Kultur?“
Michael Berwanger