Von Katrin Diehl
Wer kommt bei Doris Dörries neuestem Buch „Leben, schreiben, atmen“ auf seine Kosten? Auf jeden Fall die – und davon gibt es ja nicht wenige –, die sich für eben diese Doris Dörrie, eloquente wie präsente Filmregisseurin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin, interessieren, die deren Filme mögen, deren Auftritte im öffentlichen Leben lieben, die sich daran erfreuen, dass München diese Frau hat. Denn Doris Dörries „Leben, schreiben, atmen“ ist auch eine Autobiografie, eine, bei der sich die Autorin beim Erinnern über die Schulter blicken lässt. In über 50 Kurzkapiteln werden da Stories (mit einigen Redundanzen) zutage gefördert, die „Fans“ aus der neugierigen Presse bereits kennen mögen, die man sich aber auch gerne noch einmal persönlich von der Schreiberin schildern lässt. In „Leben, schreiben, atmen“ geht Doris Dörrie hinein in ihre schmerzlichsten wie glücklichsten Lebensmomente. Erzählte Episoden aus ihren USA-Aufenthalten nehmen einen breiten Raum ein. Dörrie beschreibt Szenen ihrer Freundschaften, deren Aufs und Abs, Katastrophen, Schicksalsschläge, die das Leben liefert, Neuanfänge, die es bereit hält für den, der es schafft, wieder aufzustehen. Denn auch das ist Doris Dörries Buch, eine Mutmachlektüre, die demonstriert, dass es offensichtlich dazugehört, ab und zu ganz schön vom Leben gebeutelt zu werden.
Und nicht zuletzt ist „Leben, schreiben, atmen“ natürlich ein Schreib-„Rat-geber“ – Doris Dörrie lehrt seit über zehn Jahren „creative writing“ an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen –, eine Motivations- wie Energiespritze, um aktiv zu werden, den Stift in die Hand zu nehmen und zu beginnen („Schreib jetzt gleich los. Sofort.“), denn „Jeder kann schreiben. Man muss nur einmal damit anfangen.“ Und wenn es da rezepthaft wie ankündigend heißt, „Wie man dem Leben schreibend mehr Sinn verleiht“, dann verschmelzen Schreib- und Lebensratgeber endgültig.
Die kursiv gesetzten Schreibanweisungen („Wie hat sich der ungeliebte Pullover genau angefühlt?“, „Schreib über dein Telefonieren. Mit wem telefonierst du?“…) erinnern sehr an diese Lustmachtexte aus Schulzeiten, die kreative Möglichkeiten vorgaukelten und immer etwas recht Nerviges hatten. Dörrie verlockt und fordert auf zu einem beschreibenden Schreiben, das nach einer genauen Beobachtung verlangt, das sich von einer wiederbelebten Atmosphäre speist, das das Besondere jedes einzelnen Lebens zum Leuchten bringt. Aber dann sind es eben doch wieder diese schablonenhaften Kleinerlebnisse, die mit dem großen Wiedererkennungswert, die Dörrie aus der Erinnerungskiste zieht, wie das Piksen der Streichhölzer in Herbstkastanien oder das Schwelgen in oft groben Schulnostalgien: Na klar, war da immer Eine, die zwar körperlich schon ganz schön weit entwickelt war, dafür aber schlechte Noten nach Hause brachte. Na klar? Abgesehen von solchen oder ähnlichen Mittelmäßigkeiten lässt sich rein gar nichts gegen einen, und auch nichts gegen Doris Dörries Schreibmotivationskurs einwenden. Rein gar nichts. So wie sich rein gar nichts gegen therapeutisches Schreiben einwenden lässt. Dass es nichts zu tun hat mit dem Schreiben, das sich vollzieht, weil da ein Mensch ist, der nicht anders kann, als zu schreiben, der etwas zu sagen hat, das über ihn hinausgeht, ist trivial.
Doris Dörrie
Leben, schreiben, atmen
288 Seiten
Diogenes Verlag, Zürich 2019
18 Euro