Ja ja, wenn Großes sich zu sterben anschickt, pflegt es lange Schatten zu werfen. So ließ Thomas Bernhard etwa in seiner Erzählung „Goethe schtirbt“ den viel bewunderten alten Goethe im März 1832 gute 120 Jahre vorausgreifen und nach dem Philosophen Ludwig Wittgenstein aus Cambridge verlangen, der ihm geistesverwandt sei wie kein anderer. Den er unbedingt sprechen müsse! Er scheitert, naturgemäß.

Das große Boulevardblatt BILD ist seit Jahrzehnten die meistgekaufte deutsche Tageszeitung. Jetzt siecht sie dahin. Sie verbreitete in ihren besten Tagen über fünf Millionen Stück – aber es geht abwärts. Und dies wirft wilde Schatten! Was Generationen von kritischen Studenten und Intellektuellen vergeblich gehofft haben, was Nobelpreisträger (Heinrich Böll, „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“) schreibend nicht geschafft haben, erledigt jetzt ganz elegant der „Markt“. Jener Markt, für den sich das Blättchen seit 1952 vehement eingesetzt hat, den es wütend, zynisch und brutal gegen jede noch so milde demokratisch-sozialistische oder trittin-grüne Tendenz verteidigt hat, er frisst sein liebstes Kind, ja darf denn sowas sein?

Manhattans Finanzhai KKR umkreiste schon seit Monaten das Springer-Hochhaus in Berlin und hat im letzten August schließlich den größten Aktienanteil der Springer-AG herausgebissen – über 43 Prozent sollen es jetzt sein, mehr als der Anteil von Friede, der Witwe des Cäsaren. Sogar die Enkel des großen Axel Cäsar S. haben für einige hundert Millionen Euro Aktien an KKR verkauft, weil sie „hinter dem Konzept des Investors“ stehen: Print-Redaktionen zu schrumpfen, und Digitales auszubauen! Tatsächlich sind schon im Herbst die ersten Köpfe gerollt. „Welt Kompakt“, eine Schlankvariante der „Welt“ wurde zum 31. Dezember 2019 eingestellt, nachdem ihr auch Denis Scheck als Freier Literatur-Autor nicht zum Aufschwung verhelfen konnte. Die Chefin von BamS verließ das sinkende Schiff, und der unendlich glatte, aber streitbare Politikchef der BILD, Nikolaus Blome, ist ebenfalls seit Oktober weg. Nur der Vertraute von Witwe Friede, der bleibt natürlich.

Mathias Döpfner will 100 Millionen in digitale Aktivitäten stecken und angeblich „eher bei den Häuptlingen als bei den Indianern“ sparen. Dabei kommt der Tod nicht überraschend, er schleicht seit Jahren heran. Auch das Anzeigengeschäft bröckelt! Nicht einmal Tablets und Internet sind schuld. Kein deutlicher „digitaler Knacks“! Ganz schlicht und einfach: Jahr für Jahr wollen immer weniger Leser Geld ausgeben für politisch krass einseitige, grob vereinfachende und zum Teil gegen Minderheiten hetzende Presseerzeugnisse. So schaut’s aus! Aber ruhig Blut: noch sind es über eine Million Leser Tag für Tag. Und man kann gespannt sein, was von Berlin aus über neue TV-Kanäle und Social Media ausgebrütet und auf die „User“ losgelassen wird – und was die mitmachen.

W.H.