Murmel Clausens neuer Coming-of-Age-Roman
Von Michael Berwanger
„Reinhold hatte nicht nur einen Scheißnamen, sondern auch einen tiefergelegten Audi A3.“ Mit diesem fulminanten Satz, der von Anfang an die Totalität des Buches vorgibt, lässt Murmel Clausen seinen neuen Roman „Leming“ beginnen. Bei diesem Band ist nicht nur der Titel schräg – Leming statt Lemming –, sondern das gesamte Setting. Drei Jugendliche – Reinhold, Verena und der ich-Erzähler Kolja – beschließen an den Plattensee zu fahren, um sich dort – mit gebührender Dramatik – gemeinsam das Leben zu nehmen. Sie hatten sich in einem Ritzer-Forum im Internet kennengelernt, bei dem es um Ängste, Tod und Suizid geht. Dabei hat Kolja durchaus nicht die Absicht sich umzubringen, sondern möchte dabei sein, um die anderen vom Suizid abzuhalten. Als sich Kolja und Reinhold in Frankfurt zu Beginn der Reise zum ersten Mal in echt begegnen, sind sie sich auf Anhieb uneins.
Kolja findet den getunten Wagen affig, Reinhold verlangt penible Sauberkeit in seinem Auto – er nennt es Respekt vor seinem Aufwand. Sie sind sich nicht einig über den Musikgeschmack, das Essen und den Fahrstil, noch nicht einmal, ob sie Verena überhaupt abholen sollen, denn sie ist seit Tagen offline, was Reinhold als Administrator des Forums checken kann.
Als sie Verena in Mannheim am vereinbarten Treffpunkt nicht vorfinden, beginnt eine Suchaktion, die in einen Hinterhalt mündet. Nachdem sie nur knapp einer Verfolgung entgehen, wird die Reise zu einem Roadtrip mit ständig neuen Konstellationen, wechselndem Personal und unvorhersehbaren Ereignissen, der in einem Showdown mündet, den man nicht erahnen kann.
Von Anfang an schreibt Clausen in einem rasanten Tempo, gespickt mit gewitzten Dialogen, das die Schwere des Themas Suizidwunsch unter Jugendlichen gekonnt aufbricht und die Handlung zugleich glaubhaft und heiter vorantreibt. Wenn man weiß, dass der gebürtige Schwabinger Murmel Clausen, der mit bürgerlichen Namen natürlich nicht Murmel, sondern Claus Clausen heißt (!), unter anderem für Bully Herbig oder für den „Tatort“ mit Christian Ulmen Drehbücher schreibt, so versteht man, wo Clausen seinen Sprachwitz und seine Pointendichte erlernt hat. Dabei wirken die Gags an keiner Stelle aufgesetzt oder platt. Dass man sich bei diesem Setting an Herrndorfs „Tschick“ erinnert fühlt, ist unvermeidlich. Clausen braucht aber diesen Vergleich nicht zu scheuen. „Leming“ liest sich authentisch und ist – trotz des traurigen Themas – ein echtes Lesevergnügen.
Murmel Clausen: Leming
Roman, Klappenbroschur, 204 Seiten
Verlag Voland & Quist Berlin 2024
18 Euro