Independents im Porträt

Von Markus Czeslik

Mit dieser Ausgabe starten wir in den LiteraturSeiten München eine neue Serie, mit der wir Menschen eine Bühne geben, die die hiesige Literaturlandschaft um so vieles reicher machen. Wir porträtieren eine Auswahl unabhängiger Verlage, die mit einer großen Portion Idealismus, viel persönlichem Engagement, Herzblut und starker Überzeugung Bücher auf den Markt bringen, die sich nicht am Mainstream orientieren, sondern auch Themen in den Fokus nehmen, an die sich große Verlagshäuser vielleicht nicht herantrauen. Vor allem diese Independents sind es, denen wir viel Bibliodiversität verdanken. Bücher aus den kleinen, unabhängigen Häusern stehen für ungewöhnliche Perspektiven und einen anderen Zugang zu unserer Welt.

Auch wenn unabhängige Klein- und Kleinstverlage ihr Publikum finden und der literarische Wert ihrer  Veröffentlichungen unbestritten ist, landen Indie-Exemplare eher selten auf Bücherpreislisten – eine Ausnahme machte da zumindest die Shortlist für den Bayerischen Buchpreis 2023. Das Spotlight fällt für gewöhnlich dorthin, wo am lautesten getrommelt wird. Aber fürs Trommeln fehlt es den Kleinverlegern meist an Kraft, Geld und Zeit, die sie stattdessen in die Detailarbeit und die persönliche Beziehung zu den Autor*innen investieren. Auf der Langstrecke müssen jedoch nicht wenige Unabhängige aufgeben, denn auch private Zuschüsse finden irgendwann mal ein Ende.

Umso dringender erscheint es, hier den Verlagen Raum zu geben, die sich nicht so einfach in Schubladen stecken lassen, die mutig nach einer Lücke suchen und ihre klar sichtbare Gründungsidee, ihre Mission, auch dann weiterverfolgen, wenn sich nicht ausreichend Leser*innen und Käufer*innen finden. Wir stellen Bücher vor, bei denen es viel zu schade wäre, wenn sie im Eckregal eines kleinen Büros verstaubten, weil sie eben nicht den Massengeschmack getroffen haben. Bücher, deren Lektüre herausfordert, Verleger*innen, die Stimmen Gehör verschaffen, die sonst in der Großverlagswelt untergehen.

Eine Frucht, die langsam reift – der Hagebutte Verlag aus München

Wie zum Beispiel Martin Pflanzer. Den Hagebutte Verlag in München gründete der gebürtige Rumäne im Jahr 2017, als er gemeinsam mit der iranischen Schriftstellerin Ayeda Alavie unter dem Titel „Walnussaugen“ eine Anthologie persischer Lyrik für Jugendliche herausgegeben hat. Alavie war es auch, die Martin Pflanzer vom Verlagsnamen überzeugte. Die Hagebutte steht für eine Frucht, die ihre Zeit braucht, bis sie zur Reife kommt und über verschiedene Stadien langsam ihre Schönheit entfaltet. „Die Zeit arbeitet für mich“, sagt Martin Pflanzer, der sein „Haupt-Hobby“ durch seinen Teilzeit-Job als Grafikdesigner beim Bayerischen Rundfunk finanziert. „Es kommt mir auf den kreativen Prozess an, den Weg, den wir gemeinsam bis zur Veröffentlichung gehen. Am Ende müssen wir sagen können: ,Ja, wir sind dem Buch gerecht geworden‘.“

Zur persischen Lyrik kam unter anderem das Kinderbuch „Meine Heimat, Katze“ von Ayeda Alavie hinzu, eine Geschichte vom Krieg, die 2022 so gut wie keine Beachtung fand und die nun im Kolibri Katalog für Kinder- und Jugendbücher eine herausragende Empfehlung erhielt. „Früher konnte ich ganz im Hier und Jetzt arbeiten“, sagt Martin Pflanzer. „Nun darf ich eine Backlist betreuen und zugleich nach vorn schauen. Dabei möchte ich immer noch jeder einzelnen Seite in der Entstehung meine volle Aufmerksamkeit widmen.“

Inzwischen wurde das Programm um weitere Veröffentlichungen bereichert, die eine Brücke schlagen zwischen Kulturen und Sprachen – zum Teil als zweisprachige Ausgabe in einem „Wendebuch“ wie bei „(fast) alles in Ordnung“ // „está (quase) tudo bem“ der brasilianischen Autorin und Journalistin Luciana Rangel. Man könnte meinen, Martin Pflanzer komme viel in der Welt herum, dabei sind es eher die Autor*innen, die zu ihm kommen. Und so ergeben sich Buchideen durch neue Bekanntschaften.Der Kleinverleger geht weniger vom konkreten Buch aus als von einer Idee oder einem Gefühl, dem er auf den Grund gehen und durch dieses Medium Ausdruck verleihen möchte.

Wenn Pflanzer sich als Mitglied eines Teams sieht, meint er damit sehr wertschätzend die Autor*innen, Übersetzer*innen und Illustrator*innen, mit denen zusammen er im Jahr zwei Bücher herausbringt. Bücher, die eine starke visuelle Anziehungskraft haben, die mit viel Liebe gestaltet sind – wie etwa die „Aufzeichnungen von hoher See“ von Leonardo Tonus, die rund um das Thema Migration ein poetisches Kaleidoskop bilden – als Collage gestaltet. Da finden sich Ausweisdokumente, Briefe und handschriftliche Notizen auf den Seiten – Pflanzer lässt den Illustratoren alle Freiräume. Ein Konzept, das kaum umsetzbar wäre im Produktionsbetrieb eines Großverlags. „Alles darf sein, wenn es bei aller Freiheit sowohl ein Maximum an politischem als auch ästhetischem Bewusstsein vermittelt.“ Tonus, Professor für brasilianische Literatur an der Sorbonne Université, Paris, steht beispielhaft für diese Kombination, wenn er etwa auch zur tagesaktuellen Nachrichtenlage rund um die Flüchtlingsströme Stellung bezieht und letztlich seine eigene Migra-tionsgeschichte verarbeitet. Das Werk landete dieses Jahr immerhin auf der Empfehlungsliste von „Bayerns Beste Independent Bücher“.

Am Ende lässt Martin Pflanzer eine Frage nicht los: Was an seiner Literatur ist politisch? Er mag Bücher, die eine Einladung zum Dialog aussprechen, die sich offen und mutig den Problemen stellen. „Literatur bietet die wunderbare Möglichkeit, der Weltsicht und Gefühlswelt eines anderen Menschen nahe zu kommen. Durch die Augen eines anderen bekomme ich einen menschlichen Zugang, tauche ein in einen emotionalen, persönlichen Diskurs und ändere vielleicht meinen Blick auf die Welt, auf die Menschen. Und genau das ist politisch.“

Mehr Informationen zum Hagebutte Verlag unter: hagebutte-verlag.de